Ausgabe Nr.
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J M upload 04.04.2020, Viva Edition 162 | Print article

Läuseblut und Gummibärchen - Cochenille-Anbau auf Lanzarote

Lanzarote, geprägt durch den berühmten Künstler und Umweltaktivisten César Manrique, entdeckt nach und nach wieder alte Fertigkeiten und inseleigene Produkte. Aber eine alte Tradition gerät nach und nach in Vergessenheit: die Herstellung des roten Farbstoffes der Cochenille.

Gummibärchen und Chorizo

Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Gummibärchen, Marmelade oder die Chorizo-Wurst so schön rot sind? Rote Beete-Saft? Grund ist häufig ein Farbstoff mit der Nummer E120. Er wird in Kosmetik, Arznei, Textilien, Getränken und Lebensmitteln verwendet. Dahinter steckt das natürliche rote Farbstoff-Gemisch aus Karmin- und Kermessäure, das aus dem Blut von Schildläusen gewonnen wird. Die Hauptlieferanten sind Peru, Chile und die Kanarischen Inseln.

Die Zucht der Schildläuse (Dactylopius coccus) und ihre Aberntung ist eine mühselige Sisyphus-Arbeit. Die Cochenillas werden auf Feigenkakteen ausgesetzt und leben dort als Parasiten vom Saft der Opuntien. Dick und fett überziehen die Lauskolonien die Kakteen mit einer pilzähnlichen, grauweißen Puderschicht, die jeden Hobbygärtner erschaudern ließe. Emsig werden die Weibchen von den Männchen, die Flügel haben, begattet. Die Männchen sterben nach dem Akt. Übrig bleiben die Weibchen, die bei einer Größe von ca. 4 mm von den stacheligen Kaketeen abgeschabt werden. Das Ganze sollte vor der Eiablage passieren, denn in den Eiern sitzt der meiste Farbstoff.

Das Ende im Jutesack 

Zerreibt man eines der Tierchen zwischen den Fingern, bleibt tiefrotes ”Läuseblut” übrig. Dabei handelt es sich eigentlich um die Karminsäure, die den Weibchen zur Abwehr von Fressfeinden dient. Nach dem Ab-ernten werden die Läuse auf Planen in der Sonne getrocknet, nach Größe sortiert und von Fremdkörpern befreit. Zur Qualitätskontrolle ermitteln Labors den Gehalt der Karminsäure. Abgepackt in Jutesäcken ist das Pulver mehrere Jahre haltbar.

Ohne ‚tunera‘ keine Laus

Die Cochenilleschildlaus war ursprünglich in Zentral- und Südamerika beheimatet. Um 1824 erreichte sie mit  Seefahrern und Eroberern die Kanarischen Inseln. Um 1835 soll sie nach ungesicherten Erkenntnissen nach Lanzarote gelangt sein, erstmals in Tiagua auf dem Bauernhof El Patio. Das Klima jedenfalls war ideal, um die Laus und die zugehörigen Opuntien („Tuneras” - siehe Foto auf der rechten Seite) auf dem öden Vulkanboden zu züchten. Der begehrte Farbstoff entwickelte sich zum Roten Gold.

Hochburg auf Lanzarote

Das Gebiet rund um Mala und Guatiza, im Norden Lanzarotes, war ehemals die Hochburg des Cochenillen-Anbaus. Zeugen sind weitläufige Opuntienfelder inmitten der öden Vulkanlandschaft. Rund 196 ha dienen der Schildlauszucht. Die Opuntienfelder sind von Steinmauern umgeben und eingezäunt.

Heute sind es fast nur noch Hobbybauern auf Lanzarote und Gran Canaria, die sich mit der Läusezucht beschäftigen. Die lanzarotenischen Bauern arbeiten mit Hochdruck an einer Wiederbelebung des einstigen Exportschlagers. Ein Cochinillen-Museum mit Produktionsstättte stand unter einem unglücklichen Stern. Jahrelang wurden Käufer gesucht. Derzeit befindet sich hier eine Farm, die sich hauptsächlich der Aloe verschreibt.

Die Konkurrenz schläft nicht

Alleine für die Herstellung von einem Kilo zum Verkauf eingetütetem Trockenpulvers des Farbstoffs benötigt man etwa 140.000 Schildläuse und die Produktionskosten liegen bei durchschnittlich 70 Euro. Die Konkurrenz sitzt in Peru und Mexiko: extrahiertes Karmin ist bereits für 50 Euro pro Kilo auf dem Markt zu haben - um die Hälfte billiger als das hochwertige Produkt aus Lanzarote. 

Laus von Veganern unerwünscht

Die Bezeichnung E120 (Cochenille) auf Lebensmitteln, Getränken oder Kosmetika markiert echtes Karmin, also natürlich eingefärbtes Rot. Der Name E124 (Cochenillerot A) hingegen kennzeichnet Karmin aus synthetischer Herstellung. 

Bei Veganern ist E120 ein rotes Tuch, ein No-Go. Verbirgt sich doch verpönter tierischer Farbstoff dahinter. Dabei kommt unsere kanarische Laus alias E120 freilich nicht gut weg ... Die Farbe von Campari profitierte in der Vergangenheit von den Cochenilleläusen. Aber auch hier sind sie verschwunden. 2006 hat das Unternehmen auf verschiedene synthetische Farbstoffe umgestellt. Da kann nur ein Back to Nature helfen ...

Laus mit Zertifikat

Für den natürlichen und qualitativ hochwertigen Farbstoff erkämpften sich 2016 die kanarischen Bauern die geschützte Herkunftsbezeichnung ”DOP” (Denominación de Origen). Im Amtsblatt vom 3. Februar 2016 der Europäischen Union lautet es wie folgt: ”Durchführungsverordnung (EU) 2016/197 der Kommission vom 3. Februar 2016 zur Eintragung einer Bezeichnung in das Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben [Cochenilla de Canarias (g.U.)]”. Nächstes Ziel der Bauern sind EU-Subventionen. Ein erster Schritt ist schon geschafft. Ein Hoch auf die Laus!

Eva Dienesen