Ausgabe Nr.
Ausgabe Nr.
J M upload 01.07.2018, Viva Edition 127 | Print article

Happy-End für den fast ausgestorbenen Schmutzgeier

Er gleitet mit seinen weit ausladenden Flügeln königlich am Himmel und während er seine Kreise zieht, blickt er mit seinen Argusaugen in die Tiefe und sucht geduldig nach Beute. Anmutig, elegant und auch ein wenig furchteinflößend, zumindest für kleine Nagetiere und Co, seine bevorzugte Mahlzeit. Wenn er Beute erblickt, dann stürzt er mit unglaublicher Geschwindigkeit fast senkrecht in Richtung Erde, schnappt sich sein Opfer und fliegt zum Verzehr davon. Die Rede ist von den Geiern. Das Verbreitungsgebiet reicht von Südeuropa bis Zentralasien und Afrika (siehe Skizze).

Eine besondere Unterart gibt es auf den Kanarischen Inseln. Während die Flugmanöver ähnlich sind, unterscheidet sich der einst auf den Kanaren so prominent besetzte ‚Himmelsbewohner‘ von den anderen Räubern. Denn ganz unköniglich ernährt sich der Schmutzgeier auch von Aas, falls er nichts anderes findet. Die Fachwelt nennt dies „opportunistischer Jäger“. Lange Zeit war der Schmutzgeier im entferntesten Sinn für die Säuberung von Tierkadavern auf dem Archipel verantwortlich. 

(Fast)Ausgestorben! Der Guirre

Mitte des 20. Jahrhunderts verschwand der kanarische Schmutzgeier gänzlich von Gran Canaria, Teneriffa und Lanzarote. Die wenig Verbliebenen waren auf Fuerteventura und so fand sich diese Spezies schließlich auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere wieder.1) Im Jahr 1998 zählte man nur noch 23 fortpflanzungsfähige Exemplare. Die Gefährdung des ‚kanarischen Nationalvogels‘ wurde schließlich im Boletín MAM/1498/2006 vom 17. Mai 2006 bestätigt. 

Das konnte, nein, das durfte so nicht bleiben. Der „Guirre“, wie ihn schon die Altkanarier nannten, hatte immer schon eine große mythologische Bedeutung. Der Legende nach glaubten die Ureinwohner, dass wenn dieser majestätische Gleiter seinen Tod nahen fühlt, er hoch in den Himmel schwebt, um dort an der Sonne zu verglühen (ähnlich dem Phoenix  aus der griechischen Mythologie). 

Bei den Spaniern ist dieser Name allerdings nicht bekannt, für sie ist es der „Alimoche canario“ und die Wissenschaft hat auch für dieses Tier einen unaussprechlich komplizierten Namen gefunden. In der zoologischen Nomenklatur heißt er (zool. „Neophron percnopterus majorensis“). Der Schmutzgeier zählt zur Familie der Habichte und ist die kleinste Geierart Europas. Immerhin beträgt die Flügelspannweite bis zu 1,70 Meter, um seine etwa zwei Kilogramm Körpergewicht in die Lüfte zu tragen.

Wie kam es zu dieser Situation?

Der Mensch ist auch hier das größte Übel bzw. die Hauptursache für die Gefährdung der Geier. Die häufigsten Todesursachen, die zur Gefährdung der Populationen führten, waren Stromleitungen. Die Vögel kollidierten mit den Leitungen und erhielten folglich einen tödlichen Schlag. Ausgewachsene Exemplare fanden nicht selten den Tod durch Jäger. Bleikugeln führten zudem zu Vergiftungen, die nunmehr seit 2001 in Spanien als Munition verboten sind. Zum Futter- und Wassermangel gesellten sich die vom Menschen verursachten Störungen während der Fortpflanzungszeit. Natürliche Brutplätze schrumpften und Lärm vertrieb die Vögel, was sukzessive zu einem weiteren Rückgang des Bestands führte.

Die Rettungsaktion

Fuerteventura ist in Sachen Umweltschutz und Umweltbewußtsein sozusagen ein ‚kanarischer Musterschüler‘. Unsere Nachbarinsel wurde 2009 zum UNESCO-Biosphärenreservat erklärt. Nachzüchtung und Auswilderung ist es zu verdanken, dass Greifvögel nicht vollständig ausgerottet wurden. Ähnlich wie die Programme in Deutschland, haben auch die Kanarischen Inseln diese kritische Situation erkannt und gehandelt und die Population hat sich erholt. Das lief über das von der EU ins Leben gerufene Rettungsrogramm „SEO Bird Life“, das vor etwa dreizehn Jahren begann. Wissenschaftler des Biologiezentrums Doñana, der Rettungsstation Fauna Silvestre de Tafira auf Gran Canaria und Fachleuten des Umweltschutzministeriums der Inselregierung von Fuerteventura arbeiteten einen Maßnahmenkatalog aus.

Es wurden eine Reihe von umwelttechnischen Projekten realisiert, wie z. B. die klare Kennzeichnung von Brutplätzen, die Schaffung von Schutz- und Futterzonen für die Vögel, Definition von Verhaltensregeln, Bewusstseinsbildungsmaßnahmen und Informationsveranstaltungen. Zudem wurden Stromleitungen mit sichtbaren Objekten behängt, welche die Geier vor der Gefahr schützen sollten. Sogar das Stromversorgungsunternehmen Endesa erklärte sich bereit die Naturschutzmaßnahmen zu unterstützen und hat während der letzten beiden Jahre 68 Strommasten adaptiert.

Durchbruch: erster Geier aus künstlicher Befruchtung

Am 19. Juni 2013 schlüpfte nach vielen erfolglosen Jahren der erste aus künstlicher Befruchtung erzeugte Geier. Abgeleitet vom Namensgeber und Geburtsort, das Regenerationszentrum Tafira, erhielt der Guirre den Namen „Tamarán“. Die ersten drei Monate nach dem Durchbrechen seiner Eierschale verbrachte er in einem Brutkasten. Das Küken begann schon zwei Wochen nach dem Schlüpfen selbständig zu essen und noch im Winter des selben Jahres wurde Tamarán, ausgestattet mit einem GPS-Sender der neuesten Technologie, in die freie Wildbahn entlassen (siehe Foto) und hat sich perfekt eingelebt. Tamarán hat sich einer der größten Geier-Populationen  angeschlossen und wird vollwertig akzeptiert. 

Status quo: er fliegt ...

Wie eingangs erwähnt, existierten 1998 lediglich 23 fortpflanzungsfähige Paare. Aktuell sind es 297. Die Steigerung der Populationen entspricht einem jährlichen Wachstum von etwa sechs Prozent. Von den 67 Brutplätzen befinden sich 61 auf Fuerteventura. Inzwischen trifft man den Schmutzgeier nicht mehr nur auf Fuerteventura, sondern auch auf Lanzarote an. Wie schön! Quellen:

Steckbrief: Schmutzgeier

Der Schmutzgeier hat einen typischerweise nach unten gezogenen Oberschnabel, spitze Flügel und einen langen Schwanz. Er kann bis zu zwei kg wiegen und eine Flügelspannweite von um die 1,80 Meter erreichen.

Einmal mit Jahr werfen sie das Gefieder ab, sprich: mausern sich. 

Als opportunistischer Jäger erbeuten sie was mit wenig Aufhebens möglich ist und ernähren sich im Notfall auch von Aas.

Monogam sind sie, zumindest für eine Saison. Das Männchen sorgt für das Baumaterial und die Weibchen bauen das Nest und sind wahrhaft meisterlich darin. Die Brutdauer kann bis zu eineinhalb Monate betragen. Die Jungvögel sind dann nach etwa drei Monaten flügge. Bei der Jagd zeigen die Weibchen eine längere Ausdauer.

Querverweise:

1)Rote Liste: Dabei handelt es sich um eine von der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Ressources) veröffentlichte Liste mit weltweit vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten.

- VIVA Ausgabe Nr. 59, Seite 36 vom 04.07.2014 „Erster Schmutzgeier aus künstlicher Befruchtung“

- VIVA Ausgabe Nr. 97 vom 8. April 2016 „Biosphärenreservate)