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M R upload 04.07.2018, Viva Edition 115 | Print article

Pyramiden auf den Kanaren? Ja, und zwar ...

Gibt es Pyramiden auf den Kanaren? Offenbar, und zwar auf Teneriffa. Rund 26 Kilometer von der Hauptstadt Santa Cruz entfernt liegen die „Pirámides de Güímar“. Die Ausgrabungen unter Aufsicht von Thor Heyerdahl förderten Anfang der 1990-er Jahre sechs rechteckige Terrassenbauten in Pyramidenform zu Tage. Diese bestanden aus mörtelfrei aufgeschichtetem Lavagestein. Charakteristisch ist, dass die Bauwerke astronomisch auf die Sommer- und Wintersonnenwende eingehen und so, wie die Bauten der Inkas, nach Osten ausgerichtet sind.

Wer hat‘s „erfunden“?

Bei Pyramiden denken wir sofort an Ägypten, Peru oder Mexiko. Ihre ‚kleinen Schwestern‘ findet man auf Teneriffa und zwar in Güímar. Sie haben einen weltberühmten Paten: Den norwegischen Forscher Thor Heyerdahl. Doch wie spannt man den Bogen von Teneriffa zu den alten Ägyptern oder den Maya? Die Bauten in Güímar erinnern nicht zwangsläufig an klassische Pyramiden á la Gizeh. Welches Geheimnis hüten die Pyramiden auf unserer Nachbarinsel? Wer hat sie wann erbaut und warum? All diese Fragestellungen bieten einen Nährboden für verwegene Spekulationen und so bleiben sie nach wie vor mysteriös - stumme Zeugen einer vergangenen Zeit.

Die „Tinerfeños“ konnten anfangs wenig mit dem eigentümlichen Steinhaufen anfangen. Eine der ersten, die sich auf Spurensuche begaben, war die „Confederación Internacional Atlántida“ im Jahr 1989. Man vermutete eine Templer-Siedlung im Güímar-Tal. Dann wurden Esoteriker in aller Welt auf den Plan gerufen und der tinerfenische Autor Francisco Padrón schürte das Feuer. Was lag näher, als das Unerklärliche als paranormal zu deklarieren? Ende der 1980-er Jahre sorgte er mit Publikationen in der Lokalpresse über UFOs und Außerirdische auf den Kanaren für Aufsehen, sowie mit seinen wöchentlich erscheinenden Artikeln im „Diario de Avisos“ über u. a. die Pyramiden in Güímar.

Die Chance für Thor Heyerdahl

Anfang der 1990-er Jahre rückte der Wissenschaftler Thor Heyerdahl samt Archäologenteam an, um die mysteriösen Ruinen zu studieren. Er wurde durch die Schlagzeilen neugierig. Schließlich war er prädestiniert für dieses Forschungsobjekt und immer auf der Suche nach Verbindungen zu Früh- und Hochkulturen.

Der unkonventionelle Forscher schien auf eine derartige Chance gewartet zu haben, um endlich das fehlende Bindeglied zwischen Völkern des Mittelmeerraums und jenen in Amerika zu finden. Die Ureinwohner Amerikas hatten beispielsweise keinen Bartwuchs (Foto 02). Warum also tragen Darstellungen von Göttern oder Männern häufig Bärte? (Foto 03). Viele Fragen bleiben unbeantwortet und bieten nach wie vor Spielraum für Spekulationen. Heyerdahl äußerte sich zu dem Projekt wie folgt: „Die lokale Bevölkerung hat die Pyramiden komplett bewahrt. Man hat verstanden, dass sich hier etwas Bedeutendes befand“ (Sendung TerraX: Planet der Pyramiden“, ZDF 1999).

Heyerdahl, der Wanderer zwischen den Welten, demonstrierte mit seinen Expeditionen mit einfachen Booten aus Papyrus oder Schilf (siehe Foto 01), dass ein Kulturaustausch zwischen den Völkern durchaus möglich bzw. höchst wahrscheinlich war. Die Recherchen führten den Forscher u. a. nach Peru zu den Túcume-Pyramiden. Seine unstillbare Neugierde trieb ihn bis zu seinem Tode an und die Pyramiden von Güímar sollten zu einer Art Lebensaufgabe werden.

Ein simpler Steinhaufen?

Forscher der Universität La Laguna gaben offiziell in einem Kolloquium im Jahre 1996 bekannt: aufgrund von Abtragung der Gesteinsschichten bis auf den Lavagrund sei die Entstehungszeit der Pyramiden erst auf Anfang des 19. Jahrhunderts zu datieren. Die These des simplen „Steinhaufens“ war geboren. Dies klingt fast ketzerisch und steht krass im Gegensatz zu Heyerdahls Vision. Dennoch, der im Volksmund angewandte Begriff für die Pyramiden in Güímar, „Majanos de Chacona“, gibt Aufschluss. „Majano“ kommt aus der Landwirtschaft. Es handelt sich um eine traditionelle Entsorgungsmassnahme der Bauern, bei der man auf den Feldern störende Steinbrocken aufräumt, indem sie wahllos aufgestapelt werden.

Freimaurer Symbolik

Das Forscherduo Aparicio und Esteban vermuteten keinen Kulturaustausch, sondern vielmehr, dass es sich in Anbetracht der Geometrie, der Symbolik und deren Ideologie um eine Freimaurer-Anlage handle1).

(1)„Las Pirámides de Güímar. Mito y realidad“ von Antonio Aparicio/César Esteban, 2005, ISBN 978-84-7926-510-6).

Das kuriose Phänomen

Forscher des Kanarischen Astrophysischen Instituts (IAC) kamen zu dem Ergebnis, dass die Stufenbauten auf die Sommer- und Wintersonnenwende ausgerichtet sind.

Das Phänomen: auf der Plattform der grössten Pyramide geniesst man am Tag der Sommersonnenwende zwei Mal den Sonnenuntergang. Die Sonne versinkt hinter einem Berggipfel, steigt wieder auf und versinkt ein zweites Mal hinter einer anderen Kuppel. Auf der Westseite verfügen die Pyramiden über Treppen, auf denen man zur Wintersonnenwende dem Sonnenaufgang entgegenblickt.

Kulturaustausch seit langer Zeit

Während die konventionelle Wissenschaft die Mauern als Überreste landwirtschaftlicher Terrassenkonstruktionen abzutun versuchte, ließ sich Heyerdahl nie von seinem Glauben abbringen. Für ihn waren die Kanaren eine Art „fehlendes Glied“ zwischen den ägyptischen Sonnenanbetern und der Maya-Kultur Mittelamerikas. Es waren zu viele Parallelen. Doch wer hatte der Urbevölkerung Teneriffas (den Guanchen) dieses Know-How übermittelt?

Pro und Kontra

1997 legten Archäologen unter der Anlage eine Lava-Höhle mit Resten der Guanchen frei. Diese „Cueva de Chacona“ konnte auf die Zeit der Nutzung der Höhle zwischen 680 und 1020 n. Chr. eingeordnet werden. Heyerdahl äußerte sich in „TerraX“: „... Was wichtig ist zu wissen, Güimar, ist ein königliches Tal der indigenen Bevölkerung. Der letzte König von Teneriffa wohnte hier ... Heute ist dieser Komplex der einzige, von dem man mit Sicherheit sagen kann, das war Architektur, das war eine zeremonielle Konstruktion ...“ und er argumentiert weiter: „… Das sind Pyramiden wie in Mexiko und Peru ...“. Für ihn ein Indiz für eine transatlantische Kommunikation …“

Fakt ist, dass das Alter der Pyramiden von Güimar auf das 19. Jahrhundert datiert wird. Knochenfunde der Guanchen der „Chacona“-Höhle wurden nie gemacht - vielleicht hätten sie uns ihre Geschichte erzählen können. Thor Heyerdal starb 2002 und hinterließ der Nachwelt nach unermüdlicher Forschung das Erbe eines bis zum heutigen Tage ungelösten Mysteriums. Er hielt bis zum Tode an seiner Multikulti-Hypothese und der transatlantischen interkulturellen Kommunikation fest.

Fazit

Der Ethnografische Park ist nicht nur äußerst interessant, sondern auch abwechslungsreich und schön zugleich. Die Eintrittspreise richten sich danach, ob man den gesamten Komplex oder bestimmte Abschnitte besuchen möchte. Es führen mehrere Routen durch das Gelände (64.000 qm) mit Museum, Auditorium, Kulturroute, Grünanlagen mit endemischen Pflanzen und sogar einem Giftgarten. Je nach Route sollten Sie zwischen einer und drei Stunden Zeit einplanen. Der Besuch ist ein Muss bei ihrem nächsten Teneriffa-Aufenthalt.

Eva Dienesen