Ausgabe Nr.
Ausgabe Nr.
J M upload 02.08.2018, Viva Edition 31 | Print article

Ohne Worte, wenn ein Schlaganfall die Sprache raubt - Logopäde Torlage

Menschen, die sich nicht oder kaum mitteilen können leiden oft unter den Vorurteilen ihrer Mitmenschen oder werden gar von der Gesellschaft ausgeschlossen. Nachweislich haben Kinder mit mangelnder Sprachfähigkeit, wie es zum Beispiel beim Stottern der Fall ist, Nachteile in ihrer weiteren beruf-lichen Laufbahn. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass 800.000 Menschen in Deutschland darunter leiden. 

Tragisch ist es auch, wenn man seine Sprachfähigkeit verliert, so wie es bei Unfällen oder Krankheiten wie etwa einem Schlaganfall der Fall sein kann. Wie sehr die Betroffenen und auch die unmittelbare Umgebung darunter leiden und wie man hier helfen kann, wollen wir als erstes Thema dieses umfassenden Bereichs behandeln. Logopäde Michael Torlage war bereit, uns seine Zeit zu schenken, um mit seinen fachmännischen Erklärungen etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Was ist die Logopädie?

Heute bezeichnet die medizinisch-therapeutische Fachdisziplin Logopädie den Bereich der Kommunikationsfähigkeit. Gemeint sind also Beeinträchtigungen der Sprache, des Sprechens, der Stimme, beim Schlucken oder sogar beim Hören. 

Wie äußert sich das in der Realität? Manchmal kann es sein, dass der Redefluss gestört ist. Sätze werden immer wieder mit Pausen unterbrochen oder Wörter stocken. Bildliche Beschreibungen gestalten sich schwierig. Im schlimmsten Fall fehlt überhaupt das „Wörterbuch“ und man kann gar nicht oder kaum noch sprechen. Um darauf eingehen zu können, ist es wichtig die Funktionsweise des Sprechapparats zu verstehen.

Wie funktioniert der Sprechapparat?

Bei der Sprache handelt es sich um eine sogenannte Sekundärfunktion, also um eine nicht (über)lebensnotwendige Angelegenheit. Viele Hirnregionen arbeiten komplex zusammen wobei zwei Bereichen eine besondere Rolle zukommt. Das Broca-Areal ist für die Sprachproduktion (Koordinierung der Motorik bzw. Sprachbewegungen) zuständig und somit vor allem für die grammatikalischen Aspekte der Sprache. Es wird im Kindesalter bis zu drei Jahren ausgebildet. (Anm.: Je früher Kinder eine oder mehrere Sprachen lernen, desto besser bildet sich dieses Zentrum aus und es fällt ihnen leichter neue Sprachen zu lernen. Wird dieses Areal im Kleinkindalter nicht gefordert, bildet es sich zurück, da das Gehirn davon ausgeht, dass diese „Funktion“ nicht benötigt wird. Später erlernte Zweitsprachen werden separat in einem „Broca“-nahen Areal abgespeichert.) Das zweite wichtige Zentrum für die logische Sprachverarbeitung und auditive Sensorik ist das Wernicke-Zentrum im hinteren Bereich. Beide Zentren sind durch ein Netz von Nervenfasern miteinander verbunden (den sogenannten „Fasciculus arcuatus“).

Wenn der Mensch etwas mitteilen möchte, dann sucht sich das Gehirn die passenden Worte aus dem abgespeicherten Lexikon heraus, das wir uns im Laufe unseres Lebens angeeignet haben. Auf dem Weg zur Motorik (wo es ausgesprochen wird) werden diese Worte nach grammatikalischen Richtlinien in der Sprachproduktion zusammengefügt und dann ausgesprochen. Beispiel: Ich will eine Tasse Kaffee.

Was passiert beim Schlaganfall?

Im Prinzip handelt es sich bei einem Schlaganfall immer um eine Durchblutungsstörung die, je nach Schwere und Region der Hirnverletzung unterschiedliche Ausprägungen haben kann, erklärt Torlage. Wenn beispielsweise die Nervenverbindungen zwischen dem „Lexikon“ und dem Sprachzentrum unterbrochen sind, kann folgendes auftreten. Dieser Mensch sieht eine Tasse Kaffee, weiß auch, dass es sich um eine Tasse Kaffee handelt, die er gerne trinken würde und sagt jedoch „Ich sehe einen roten Vogel“ - meint aber noch immer „Ich will eine Tasse Kaffee“.

„Jetzt ist muttersprachliche Hilfe gefordert“, erklärt Torlage und führt aus, „wenn eine Verbindung fehlt, kann unter Umständen eine neue Verbindung hergestellt werden. Gleiches gilt für das Lexikon. Ein Logopäde ist in erster Linie auch ein guter Menschenkenner. Er muss unter Umständen aus kaum verständlichen Lauten des Patienten erahnen, was dieser meint. Manchmal kann der Logopäde die Bedeutung nurmehr aus den Betonungsmustern erkennen.“ 

Die Betroffenen leiden am meisten

Aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß Torlage, dass die Betroffenen selbst am Meisten an ihren Problemen leiden und manchmal auch daran verzweifeln. „Der Wille und die Mitarbeit des Betroffenen ist, wie in jedem Bereich, auch hier wichtig für einen Erfolg. Je nach Art der Störung werden individuelle Therapien ausgearbeitet. Ziel ist diese zumindest zu stabilisieren, wenn sie nicht geheilt oder vermindert werden können“, erklärt Torlage.

Neben Sprechübungen können es banal anmutende Sprichworte oder Zitate sein, die den Wortschatz wiederherstellen oder durch Assoziationen neue Verknüpfungen erzeugen wie z. B. „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er xxx“. Man sollte dem Betroffenen nicht unrecht tun. „Oma ist eben nicht über Nacht doof geworden.“ Es ist einfach eine Störung in der Kommunikationsfähigkeit und je früher man mit einer muttersprachlichen Therapie beginnt, desto besser sind die Chancen auf eine Verbesserung der Sprachsituation.“ Je nach Therapie ist der Logopäde unter Umständen auch eine Art Vermittler zwischen den Betroffenen und den Angehörigen, die den Patienten ja auch verstehen wollen. Selbst wenn im Anlassfall vielleicht keine Heilung möglich ist, so ist es auf jeden Fall zu vermeiden, dass eine Verschlechterung eintritt.

Falls es im Ausland zu einem Unfall oder Schlaganfall mit einer Störung des Sprachzentrums kommen sollte, dann ist auch hier eine rasche logopädische muttersprachliche Hilfe sinnvoll und empfehlenswert. Man wird dort möglicherweise vom Krankenhauspersonal auf dieses Thema nicht hingewiesen. Doch alle  Krankenversicherungen im Heimatland Deutschland akzeptieren die Kosten für eine  logopädische Therapie, insbesondere wenn diese erforderlich ist“, erklärt Torlage. In so einem Fall gibt der Therapeut seinen Befund dem Patienten mit auf den Weg, damit dieser seine Behandlungen in seiner Heimat fortsetzen kann.

Es gibt diesbezüglich viele weitere Themen, wie z. B. neurologische bedingte Störungen wie z. B. Stottern, Schluckstörungen oder auch die Bedeutung von Gedächtnistraining und Vorbeugungsmaßnahmen etc.

KONTAKT

Mehr Informationen: Michael Torlage
Deutscher Logopäde
Email: logopaede.gc@gmail.com