Ausgabe Nr.
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J M upload 01.12.2020, Viva Edition 170 | Print article

Ein Schreibtisch im Himmel - Digitale Nomaden - eine neue Tourismusnische?

Golf spielen, elitäre Universitäten besuchen oder durch Empfehlungen des eigenen Umfelds das persönliche Netzwerk ausbauen - diese ‚Zutaten‘ galten lange Zeit als das Erfolgsrezept für erfolgreiche Managementkarrieren.

In den vergangenen Jahren liest man immer häufiger „Work life balance“, also eine ausgewogene Mischung aus beruflichem Engagement und Privatleben. Wie sich das gestaltet, ist so individuell und mannigfaltig wie wir Menschen. Die einen streben nach mehr Zeit mit ihrer Familie und andere schweben im siebten Himmel, solange sie ihren Hobbys nachgehen können. Auch hier scheinen uns die Amerikaner einen Schritt voraus zu sein. Großraumbüros scheinen sukzessive passé, vor allem für digitale und kreative Berufe. Immer mehr sogenannte „Digitale Nomaden“ bevölkern den Globus und demonstrieren damit, dass man nicht rund um die Uhr vor Ort sein muß, um eine wertvolle Arbeit zu liefern. Autoren, Informatiker, Wissenschaftler etc., also meist hoch bezahlte und qualifizierte Freelancer mit einer Nuance Abenteurer-Gen breiten sich immer mehr aus.

Ein Schreibtisch im Himmel?

Las Palmas de Gran Canaria hat diesen Trend schon vor fünf Jahren erkannt und intensiviert die Bemühungen in dieser noch kleinen, aber zukunftsträchtigen Nische. Wo, wenn nicht hier, bestehen ideale Voraussetzungen für die sog. „Digital Nomads“. Das sah auch die international renommierte New Yorker Tageszeitung so und titelte in einem mehrseitigen Sonderbericht vom Webdesigner Peter Faber: „Las Palmas, Mekka for digital nomads“. Er wurde für diesen medial viel beachteten Beitrag sogar mit dem Tourismuspreis von Las Palmas de Gran Canaria ausgezeichnet.

Was davor lediglich bei Insidern als ‚hip‘ galt, erhielt spätestens mit diesem Bericht einen neuen Stellenwert und fand Beachtung auch bei den hiesigen Behörden. Wer möchte nicht einen „Schreibtisch im Himmel“, wo so viele Argumente dafür sprechen. Wir berichteten zwar darüber1) aber einiges daraus wollen wir nochmals erwähnen.

Das ganzjährig milde Klima, die guten internationalen Flugverbindungen, die niedrigen Lebenshaltungskosten, die guten Internetverbindungen (dessen Ausbau Las Palmas de Gran Canaria seit 2015 konsequent weiterverfolgt hat), das Freizeitangebot und nicht zuletzt das Netzwerk der digitalen Nomaden und deren Co-working Möglichkeiten. Aber auch Sicherheit, Kriminalitätsrate, Gesundheitssystem etc. sind Kriterien für die wohlwollende Bewertung.

Die US Amerikanische Stadt Tulsa, die in etwa so viele Einwohner wie Las Palmas de Gran Canaria hat, ging vor zwei Jahren noch weiter. Man bot den „remote workers“ 10.000 USD an, wenn Sie von Tusla aus arbeiten (Slogan: „We’ll pay you to work from Tusla. You’re going to love it here.“).

Dieses Versprechen versüßte so einigen die Entscheidung, zumal auch die Auszahlungskonditionen intelligent durchdacht waren. Ein Teil wurde bereits im Voraus bezahlt, damit die Übersiedelungskosten aufgewendet werden konnten. Weitere Zahlungen folgten sukzessive im Laufe des Jahres und die Restzahlung erfolgte nach Ablauf eines Jahres.

Neben den monetären Anreizen hob man weitere ‚Benefits‘ hervor, wie z. B. die Verfügbarkeit von kostenlosen Schreibtischplätzen mit Internetzugang mitten in der Altstadt. Neben der Arbeit ermöglicht dies den geistigen Austausch mit anderen hochqualifizierten Individualisten. Dadurch wird das Geschäftsnetzwerk ausgebaut und innovative Ideen landen durch den Wegfall starrer Strukturen auf fruchtbaren Boden. Regelmäßige Events und soziale Treffen fördern zudem die Integration bzw. die Festigung der emotionalen Komponente mittels sozialer Kontakte.

   ... und dann kam Covid

Social Distancing war eines der Schlagworte, das während der Coronaviruspandemie uns immerfort ins Gedächtnis gerufen wurde und das spiegelte sich auch im beruflichen Umfeld wieder. Wann immer möglich, sollen Unternehmen auf „Teleworking“ setzen (siehe auch unseren Rechtstipp in dieser Ausgabe - siehe Bereich „Canarias Inside“). Klassisches Teleworking ist nicht unbedingt gleich zu setzen mit Digitalen Nomaden, aber das Grundprinzip der ortsungebundenen Tätigkeit eint diese beiden Begriffe. Großunternehmen haben aus ihren Erfahrungen während der Krise begonnen, die Unternehmensprozesse und -aktivität neu zu betrachten und zu bewerten. Manche Branchen sehen Einsparungspotenziale ihrer Büroflächen von bis zu 30 Prozent.

Remote Workers - ein lukrativer Wirtschaftsmotor?

Digitale Nomaden sind ein begehrtes Klientel und dafür gibt es eine Reihe von Gründen.

Eine Maßnahme gegen Abwanderungen? Die zuvor erwähnte Stadt Tulsa litt seit Jahren unter der Abwanderung von jungen Leuten und konnte mit ihrer Aktion hochqualifizierte Fachleute und Akademiker, die meist auch über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen, anlocken. Und nach Ablauf des Jahres blieb ein Teil der „remote workers“.

Ein neuer Tourismuszweig für  Las Palmas de Gran Canaria?

Die Stadtvermarktung von Las Palmas zeigte sich über den medialen und damit verbundenen marketingtechnischen Wert der Berichterstattung der Digitalen Nomaden höchst erfreut. Kein Prospekt kann besser für eine Destination werben, als die Erfahrungsberichte der Community auf ihren weltweiten sozialen Netzwerken, wie z. B. nomadcity.org oder digitalnomadgirls.com

Nomad City Las Palmas de Gran Canaria

Nacho Rodríguez, Gründer von Nomad City2) und Spaniens Pionier in diesem Bereich, forciert seit fünf Jahren diese Branche. Mit verschiedenen Initiativen versucht er, die Insel als idealen Spot für digitale Nomaden zu etablieren, mit großem Erfolg. Inzwischen verfügt das Netzwerk über eine Reihe von Co-Working Zentren, in denen die digitalen Nomaden alles finden, um ihrer Tätigkeit nachgehen zu können. Intellektueller Austausch, Zusammenarbeit, Vernetzung und Simplicity sind weitere oft genannte Argumente der heutigen Zeit.

Das Portfolio von Nomad City reicht weit über das klassischer Business Centers hinaus: Es umfasst auch das soziale Umfeld mit beispielsweise Meetings, gemeinsamen Aktivitäten (Breakfast Club, Monday Mastermind, Community Lunch etc.) und sogar Pop-Up Wohngemeinschaften. Rodríguez meint, dass die Flexibilität der Arbeit zu einer globalen sozioökonomischen Transformation führen wird. Jedes Jahr im November veranstaltet er aus diesem Grund die „repeople Conference“, die in diesem Jahr ausschließlich virtuell über die Bühne ging.

Wir sind gespannt und bleiben an diesem Thema dran.                       jm

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1)Viva Canarias Nr. 111 vom 13.1.2017 „Ein Schreibtisch im Himmel - Las Palmas, das Mekka für digitale Nomaden“

2)Nomad City (Nacho Rodríguez, Gründer)
Calle Montevideo n° 2, Las Palmas de Gran Canaria, WhatsApp: (0034) 606 323 882
www.nomadcity.org
www.sinoficina.com, Bosco Soler

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