Ausgabe Nr.
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J M upload 28.02.2020, Viva Edition 161 | Print article

Geschichte der Altkanarier: Kleider machen Leute

Kleider machen Leute und das galt auch für die Urbevölkerung der Kanarischen Inseln. Wenngleich die archäologischen Funde noch immer genügend Fragen diesbezüglich offen lassen, scheint einiges fest zu stehen. Der soziale Rang wurde durch die Frisur, Kleidung und Bärte evident, denn auch die Altkanarier lebten in klar hierarchischen Gesellschaftsstrukturen. Vorweg genommen sei, dass ursprünglich die indigene Bevölkerung, also noch vor der Eroberung durch Vertreter des hochkatholischen spanischen Königshauses, spärlich bekleidet war oder überhaupt nackt, besonders in den südlichen Küstenregionen und, wenn die Temperaturen unerträglich hoch waren. Männer fochten ihre Kämpfe beispielsweise meist nackt aus, um agiler zu sein und sich frei bewegen zu können. 

Wie war die Kleidung der Altkanarier?

Die verwendeten Textilien waren häufig bunt. Dafür setzte man Kräuter oder Blumen ein, entweder zum Einfärben, z. B. mit wildem Safran oder Beeren, oder zum Schmücken. Die Außenseite der Bekleidung wurde auch mit Ritzungen verziert. Die verwendeten Farben hatten symbolischen Charakter und immer vertreten waren rot, schwarz und weiß.

Baumwolle oder Leinen waren ihnen unbekannt, ebenso wie Schafe, obwohl diese vorkamen. Allerdings handelte es sich um eine afrikanische Rasse, die keine Wolle hatte und so verwendeten Sie zumeist Felle und gegerbte Tierhäute, hauptsächlich von Ziegen. Als Konservierungsstoff verwendeten sie Kiefernholz, wodurch das Ziegenleder einen rötlichen Farbton erhielt (siehe Foto 05). Vernäht wurde die Kleidung mit Fischgräten und als Garn verwendeten sie Ziegendärme. Schläge aus Ziegenknochen dienten als Verschlüsse und geflochtene Schnüre aus Pflanzenfasern oder Leder wurden zum Festmachen der Kleidung und als Gürtel verwendet.

Auf Gran Canaria wurden zudem aufgrund ihrer bequemen Bearbeitungsmöglichkeiten und ihrer Biegsamkeit Binsen (siehe Foto 01 und 02) zu Matten, Korbwaren, Fischernetzen und eben auch zu Kleidungsstücken verarbeitet. Damen trugen lange Röcke und Blusen (siehe Foto 03). Die Altkanarier wendeten dafür verschiedene, teils aufwändige Knüpftechniken an (siehe Skizzen o. li.). 

Ebenso war die endemische kanarische Dattelpalme (lat. phoenix canariensis) die Quelle für begehrte Stoffe, die eingefärbt wurden. Doch diese erlesenen Materialien waren ausschließlich der höchsten Gesellschaftsschicht vorbehalten.

Tamarco, das wichtigste Kleidungsstück

Der sogenannte ‚tamarco‘ oder „tamarque“ war das wichtigste Kleidungsstück bei den Altkanariern (siehe Foto 06). Es wurde diagonal über dem Körper getragen und an der linken Schulter zusammengehalten, sodass ein Teil der Brust und des Rückens frei lag (siehe Skizze li.). Hirten verwendeten in den kalten Wintermonaten eine abgewandelte Variante, die am Hals geknüpft wurde und bis zu den Knöcheln reichte. Man vermutet, dass der Saum mit Steinen beschwert wurde, um ein Flattern der Bekleidung durch Wind zu vermeiden. Heutzutage erinnern die sogenannten ‚mantas esperanceras‘ von La Esperanza auf Teneriffa an die Ursprünge.

Die Kopfbedeckungen

Ob und welche Kopfbedeckungen zum Einsatz kamen hing auch vom sozialen Rang ab, je höher, desto aufwändiger. Zudem unterschied sich diese von Insel zu Insel.

• Auf Lanzarote trugen die Altkanarier eine hohe Ledermütze (guapil). 

• Die „majoreros“ auf Fuerteventura setzten eine Haube mit drei langen Federn auf und ihre Frauen trugen Kopfbänder aus Ziegenleder, die sie mitunter mit den gleichen gefärbten Federn schmückten, wie sie die Männer trugen.

• Auf Gran Canaria trug man eine Tasche aus einer Ziege, deren Krallen über die Ohren gesenkt und am Nacken gebunden waren.

Fußbekleidung

Die Schuhe bestanden aus Ziegenleder, das auf Lanzarote ‚maho‘ bezeichnet wurde und auf der Insel Teneriffa ‚xercos‘. Auf Gran Canaria verwendete man für die Schuhe das robuste und widerstandsfähige Schweinsleder.

Schmuck und Accessoires

Man kann wohl behaupten, dass die indigene Bevölkerung des Archipels durchaus eitel war und neben Ta-toos und Skarifizierungen vor allem Schmuck verwendete. Diesen kreierten sie aus Muscheln, Perlen, kleinen Steinen, geschnitzten Knochen, Fischgräten oder Holz (siehe Beispiel aus La Palma, ein tropfenförmiger Anhänger). Auch kleine Tonfiguren kamen zum Einsatz.

(K)eine haarige Sache

Grundsätzlich konnte man sagen, je länger die Haare, desto höher der Rang. Die Haarmähne wurde offen getragen oder zu Zöpfen geflochten.

Gesellschaftliche Strukturen der indigenen Bevölkerung

Frauen unterstanden, auch in den höheren Gesellschaftsschichten, männlichen Autoritäten. Während Männer für die harte Feldarbeit zuständig waren, kümmerten sich die Frauen um alles drumherum, vom Säen der Felder bis zu den Handwerkserzeugnissen, wie z. B. Korbwaren, Töpfern, Lederverarbeitung, Felsmalereien, etc. Überstieg die produzierte Menge an Erzeugnissen den Eigenbedarf, dann wurden sie im Tauschhandel gegen Lebensmittel oder andere Erzeugnisse eingetauscht.

Die Führung (eine Art Bürgermeisterrat) wies die Nutzung der Ländereien, des Wassers und der Weiden auf einer jährlichen Basis zu, wobei der gesellschaftliche Status dabei berücksichtigt wurde. Ein bestimmter Anteil der Erzeugnisse musste in eine zentrale Verwaltung bzw. Lager der jeweiligen ‚Gemeinde‘ und zur Nutzung des Kollektivs. Diese waren unter besonderen Umständen essenziell, wie z. B. Dürreperioden, Hungerkatastrophen oder kriegerische Auseinandersetzungen. Besitztümer konnten sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits vererbt werden.

• Das gemeine Volk, die „Plebejer“, befanden sich an der untersten Stufe der hierarchischen Pyramide und repräsentierten den größten Teil der Bevölkerung, der für die Produktion der Güter verantwortlich war. Zu ihnen zählten Bauern, Hirten, Fischer und Handwerker. Sie lebten in Familienverbänden, die jeweils von einem Patriarchen angeführt wurden und mehrere Familiengruppen vereinten sich zu einem Stamm.

• Noch schlechter als das ‚gemeine Volk’ wurden nur noch all jene angesehen, die mit Blut zu tun hatten - einem schändlich verachteten Tabu. Zu ihnen zählten Henker oder Schlachter, die aufgrund ihrer ‚unreinen‘ Berufe sogar außerhalb der Siedlungen leben mussten und ihre Haupt natürlich zu einer Glatze scheren mussten.

An der Spitze der Gesellschaftsschicht standen die Fayzagues (eine Art Bürgermeister), die Gayres und der Guanarteme, der in etwa dem Rang eines Königs entsprach und die Gesellschaftspyramide anführte. 

• Einen Sonderstatus hatten die Priesterinnen (maguadas), die als Verbindung zwischen der weltlichen und geistigen Welt betrachtet wurden. Sie übernahmen die Aufgaben, die in Zusammenhang mit dem Glauben und der damit verbundenen religiösen Praktiken standen und trugen überlanges Haar, das ihnen bis weit über die Hüften reichte.

In unserer nächsten Ausgabe Nr. 162 vom 1.4.2020 berichten wir über die Religiosität der Altkanarier.

Noch mehr Geschichte?

Wer sich für Geschichte und Archäologie interessiert, dem empfehlen wir den Besuch folgender Museen. 

• Museo Canario in der Altstadt Vegueta, Las Palmas de Gran Canaria Museo Canario - Die Geschichte des Dr. Chil

• Archäologiepark und Museum Cueva Pintada in Gáldar Das versunkene Reich der Altkanarier Teil 1 - Cueva Pintada

• Interpretationszentrum La Fortaleza in Santa Lucía Spektakuläre Archäologiefunde bei La Fortaleza

• Informationszentrum am ‚heiligen Berg‘ La Bentayga Kultstätte Roque Bentayga - imposanter Fels im Herzen der Insel

• Themenpark El Mundo Aborigen Wiedereröffnung El Mundo Aborigen: Themenpark der Altkanarier

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Quellverweise (siehe  www.viva-canarias.es)
-Informationsbuch des Museo Arqueologico Cueva Pintada in Gáldar
- Museo Canario in Las Palmas de Gran Canaria
- „La Fortaleza - Neue Entdeckungen in der Festung und Neueröffnung des Museums aus unserer Ausgabe Viva Canarias Nr. 92 vom 29.1.2016 
-Viva Canarias Nr. 108 vom 2.12.2016 „Wiedereröffnung El Mundo Aborigen“ 
- Tamarco, La Vestimenta de los Aborígenes Canarios vom 30. April 2013, https://guanartemtoag.blogspot.com/
- „Pequeñas Historias de canarias“ aus den Chroniken der kastilischen Invasio