Ausgabe Nr.
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J M upload 02.04.2021, Viva Edition 174 | Print article

Kuba & Kanaren: Die Geschichte der Emigrationswellen

Mit der Entdeckung der Neuen Welt im Jahr 1492 gewannen die Kanarischen Inseln, aufgrund der strategisch optimalen Lage im Schnittpunkt dreier Kontinente, an Bedeutung. Von der Iberischen Halbinsel kamen neue Siedler und die Einwohnerzahlen stiegen deutlich an, nicht zuletzt auch wegen des neuen Impfstoffs gegen Windpocken, der damaligen Hauptursache der Kindersterblichkeit. Wie so oft in der Geschichte der Menschheit machte sich besonders die bitterarme Landbevölkerung auf den Weg in die Neue Welt, voller Hoffnung auf ein besseres Leben.

Die Emigrationswelle der Kanarier setzte im 16. Jhdt. ein, mit dem Ziel Uruguay, Venezuela, die Antillen, die USA, Puerto Rico und vor allem Kuba. Um 1814 war letztgenannte Insel die Hauptdestination. In der Provinz Havanna arbeiteten viele emigrierte Kanarier als (Vor)Arbeiter auf den Zuckerrohrplantagen. Später kam der Anbau und Handel von Tabak dazu.

Blutzoll[1]

Die von 1678 bis 1778 geltende Blutsteuer (Tributo de Sangre) legte fest, dass für den Handel mit Amerika fünf Familien mit je fünf Mitgliedern, die fast immer arm waren, für jeweils 100 Tonnen Waren in die Neue Welt entsandt werden mussten. Dieser Bluttribut verfolgte einen doppelten Zweck: Zum einen diente er dazu, bevölkerungsarme Gebiete, wie z. B. Santo Domingo, Puerto Rico und Florida, zu bevölkern und zum anderen, den sozialen Druck durch die armen Bevölkerungsschichten auf den Inseln zu mildern.

Die fleissigen Kanarier in Übersee

Die Kanarier wurden für ihren Fleiß und ihre Ausdauer als Arbeitskraft äußerst geschätzt, wohl weil sie die harten Bedingungen ihrer Heimat kannten und sie zudem mit dem Klima gut klar kamen.

Die Träume einer besseren Zukunft wurden von der harten Realität eingeholt. Der überwiegende Teil der Emigranten waren Analphabeten (ca. 90 %) und sie mussten sehr hart arbeiten. Manche mussten erst die Kosten für die Überfahrt „einarbeiten“und die Lebensumstände ähnelten einer Semi-Sklaverei.

Liberalisierung des Sklavenhandels

Mit der Liberalisierung des Sklavenhandels im Jahr 1789 bekam die Wertschätzung gegenüber den Kanariern einen tiefen Riss. Ihre Arbeitskraft wurde durch  SklavenarbeiterInnen ersetzt (Erst 1886 wurde der Sklavenhandel verboten). Die kanarischen Lohnarbeiter wurden von den Plantagen vertrieben und suchten sich andere Zonen in Kuba, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Interessanterweise siedelten sich die Kanarier auch in der neuen fremden Heimat auf dem Land an und nur wenige zog es in die Provinzhauptstädte. 44,2 % waren in der Landwirtschaft tätig, 26,6 % waren Hausfrauen und im Handel waren es 11,5 %.

So wie andere Archipele in dieser Zeit war auch Kuba einst begehrtes Ziel von Piratenangriffen. Es gab immer wieder unruhen und später auch noch die Unabhängigkeitskriege. Viele mutige kanarische Männer verdienten ihren Lebensunterhalt als Soldaten (8,8 %).

Andere erwirtschafteten sich mit Geschick und Können einen gewissen Wohlstand. Ihre Kenntnisse rund um die Agrarwirtschaft kamen ihnen dabei zugute, ebenso wie die guten Verbindungen in die alte Heimat. Der Handel boomte in Form von Importen, Exporten und Reexporten über die Kanarischen Inseln.

In der stärksten Emigrationswelle zwischen 1847 und 1860 handelte es sich bei 36 % der kanarischen Emigranten um Frauen. In den ersten großen Auswanderungswellen waren es vornehmlich Männer, die die Möglichkeiten in der Neuen Welt ausloteten. Später baten sie ihre weiblichen Familienmitglieder nachzukommen. Dafür mussten sie eine sogenannte Einladung („carta“) schreiben, die den Einwanderungsbehörden vorgelegt werden musste und die die Einreise als Familienzusammenführung genehmigten.

Die Kanarier hatten einen wesentlichen Einfluß auf die Gesellschaft und die wirtschaftliche Entwicklung Kubas.

Die große Rückwanderungswelle

Permanenten Unruhen und wirtschaftliche Unsicherheiten dämpfte die Emigrationswellen schließlich bzw. kehrten sie sogar um. Etwa von 1868 bis 1913 setzte die große Rückwanderungswelle der Kanarier aus Kuba ein und nur ein Drittel, zumeist gut situiert, blieb in der neuen Heimat. Es waren meist Tagelöhner oder junge Arbeiter, die bei der Tabak- und Zuckerrohrernte oder beim Anbau von Obstbäumen oder im Straßenverkauf beschäftigt waren, die wieder zurückkehrten.

Doch sie kamen nicht mit leeren Händen. Es handelte sich jetzt um erfahrene Fachkräfte in allen Bereichen der Agrarwirtschaft und im Handel. So mancher Rückkehrer hatte seine Ersparnisse mit im Gepäck und der hohe Wechselkurs für den kubanischen Peso war dabei kein Nachteil.

Dank der neuen Exportwirtschaft (Tomaten, Bananen, Kartoffeln) Bankwesen, Liefer- und Lagerdienste, erfreute sich die Wirtschaft einem Aufschwung.

Volksfeste in Memoriam der Rückkehrer

Die Neureichen investierten auf den Kanarischen Inseln in großem Maß und kauften teils überteuert die besten Landstriche und prestigeträchtige Anwesen. Die Schere zwischen arm und reich klaffte enorm auseinander und das war augenscheinlich.

Ob die Rückkehrer tatsächlich ein gewisses Maß an Arroganz an den Tag legten oder es lediglich von Einheimischen aus Neid unterstellt wurde, bleibt wage. Fest steht jedenfalls, dass es Spannungen gab. Es gibt sogar einige Volksfeste, die an die „arroganten“ Rückkehrer errinnern, indem sie mit weißen Leinenanzügen und Strohhüten bekleidet sind und von den Zaungästen mit weißem Pulver (häufig auch Mehl) beworfen werden, wie z. B. im September in Agüimes. Heute gibt es keinen Neid, sonder nur einen fröhlichen Zugang.

Viva Tipp: Im Geschichtsmuseum von Agüimes (im ehemligen Bischofssitz) wird die Geschichte der Emigrationen veranschaulicht - siehe unseren Bericht.

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Footnotes

  1. ^ Tributo de Sangre - Erläuterung aus dem Geschichtsmuseum von Agüimes; Ergänzung online vom 5.1.2024;