Ausgabe Nr.
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J M upload 02.08.2013, Viva Edition 39 | Print article

Dr. Hilly Kessler - harte Jugend, steile Karriere

Das schöne an Gran Canaria ist, dass man immer wieder interessante Menschen aus aller Welt kennenlernt. So ging es uns beim Besuch des diesjährigen Justus Frantz Festivals, wo wir mit der sympathischen und herrlich unkomplizierten Dr. Hilly Kessler Bekanntschaft machen durften. Seit vielen Jahren führt die Gynäkologin ihre eigene Praxis in Luxemburg. Mit dem gleichen hohen Anspruch, den sie an sich und ihre Arbeit als Ärztin stellt, geht sie ihrer zweiten großen Leidenschaft nach: dem Malen. Wir hatten die Gelegenheit Dr. Kessler in unserer Redaktion zu einem sehr persönlichen Gespräch über ihr Leben und ihr künstlerisches Schaffen zu treffen.

Harte Jugend, steile Karriere

Nicht alle von uns haben das Glück, in wohlbehüteten oder gut-situierten Vater-Mutter-Kind Familien hinein geboren zu werden. Für manche stellt das Leben schon von frühester Kindheit an besonders harte Prüfungen. So war es auch im Fall von Dr. Hilly Kessler, die ihre Stärke im späteren Leben wohl aufgrund der großen Zuwendung und Liebe ihrer Großmutter erhielt, bei der sie die ersten fünf Lebensjahre verbrachte. Dort wurde der Grundstein gelegt, dass Hilly Gut von Böse unterscheiden lernte.

Gerade dieser Umstand ist für junge Menschen später sehr wichtig, wenn sie nämlich früh lernen müssen auf eigenen Beinen zu stehen, für sich selbst zu sorgen und zu begreifen, dass man nur mit Fleiß und Disziplin sein eigenes Leben schmieden kann. Selbst erreichte Erfolgserlebnisse, für die man gerade als Kind hart kämpfen muss, zählen irgendwie doppelt. Ihrer Leidenschaft zur Malerei ging Hilly in jeder freien Minute nach. So wurde jedes Stückchen Papier, und sei es die Rückseiten eines Kalenders ihrer Oma, bemalt.

Schon mit 16 Jahren und mit Genehmigung des Jugendamts bezog sie mutig ihre erste eigene kleine Wohnung. Sie hatte keinerlei finanzielle Unterstützung und leider auch keine Familie, die ihr unter die Arme greifen konnte. So verstand die Jugendliche früh, dass zuerst Geldverdienen angesagt war.

Ihr Realitätssinn machte ihr aber auch klar, dass sie mit Malerei nicht ihre Miete bezahlen wird können und essen kann sie die Bilder auch nicht.

konsequenz & fleiss: der rote faden im leben

Mit der Logik und Disziplin eines Erwachsenen entschloss sich Hilly die Lehre als Elektroschweißerin zu machen. Erstens war das gut bezahlt und zweitens liebte es die vielseitige Künstlerin schon seit jeher, mit ihren Händen zu arbeiten und etwas zu erschaffen.

Konsequenz und Fleiss ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Also machte Hilly eine Lehre zur Technischen Zeichnerin für Maschinenbau, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Dabei lernte sie Drehen, Schweissen, Schmieden, Elektroarbeiten. Sie liebte es schon immer manuell zu arbeiten und mit ihren Händen etwas zu erschaffen. Doch Hilly erkannte, dass dieser Abschnitt nur eine Zwischenstation sein konnte. Folglich erarbeitete sie sich parallel zur Lehre in Abendschulen auch gleich noch das Fachabitur für Technik. Weil Hillys Leistungsbereitschaft sich auch in ihren Noten widerspiegelte, machte sie auf einem Kolleg nach Erhalt des Facharbeiterbriefs und des Fachabiturs und mithilfe eines staatlichen Stipendiums das Vollabitur. Ein weiteres Stipendium ermöglichte ihr das Studium in Aachen zur Ärztin bzw. zur Fachärztin für Geburtshilfe.

Vom Pizzamädchen zur fachÄrztin

Natürlich kann man mit der staatlichen Unterstützung alleine nicht wirklich gut überleben und so sollten sie viele Nebenjobs im Laufe ihrer Studienzeit über Wasser halten. Von Marketing, Zahnpasta testen bis hin zu Putzen und Einkaufen für hilfsbedürftige Senioren sollte alles dabei sein.

Eines Tages eröffnete sie mit zwei Freundinnen einen kleinen mobilen Pizzadienst, sehr erfolgreich. Noch heute schwärmt Hilly von den köstlichen Pizzas, die bei ihren Kunden großen Anklang fanden und viele Jahre zur Weihnachtszeit das Geld liefern sollten um zur Hauptstudienzeit überleben zu können. Später, als Dr. Kessler schon in ihrer Praxis tätig war, dachten die einen oder anderen Patienten sie sei noch immer das Pizzamädchen, was zu großem Amüsement führte.

Am Boden geblieben

Dr. Kessler lebt heute im gediegenen Rahmen auf 400 Quadratmetern in einem alten Winzerhaus an der Mosel. Und trotzdem könnte sie wieder auf 40 Quadratmetern leben und es dabei noch genießen „das ist die wirkliche Kunst im Leben“ sagt die Fachärztin.

Es ist mir ein Rätsel, wo Hilly bei all ihren Tätigkeiten noch die Zeit fand, ihrer anderen Leidenschaft nachzugehen und an ihrer künstlerischen Ausdrucksfähigkeit zu arbeiten. Sie malte durchgängig, mal mehr mal weniger, und besuchte unzählige Kurse, um so ihre Malkünste noch weiter zu perfektionieren. Auf jeden Fall kann das mehrsprachige Multitalent ihren Weg sicher auch wegen dem hohen Maß an Flexibilität bestritten, ganz nach dem Motto: „Was ist der worst case der passieren kann“ und darauf basieren viele ihrer Entscheidungen.

Dr. Kessler sieht in einem gewissen Maß an Vielseitigkeit eine Voraussetzung, um in der heutigen Zeit bestehen zu können. „Man muss über den Tellerrand hinaussehen und sich immer wieder mit neuen Erkenntnissen auseinandersetzen“. So macht sie es in der Malerei aber auch im Beruf. „Nur mit reiner Schulmedizin ist man doch sehr eingeschränkt“ beschreibt es die Medizinerin. Ich nehme mir immer für jeden einzelnen Patienten Zeit, besonders auch für Gespräche. Je besser ich mein Gegenüber verstehe, nicht nur aus labortechnischen schulmedizinischen Gesichtspunkten heraus, desto besser kann ich die optimale Vorgehensweise bzw. Behandlung ausarbeiten. Und dieses Konzept setzt Dr. Kessler konsequent um. Daher hat sie seit Jahren Aufnahmestopp für neue Patienten, da es ihre Zeit nicht anders zulassen würde, um ihren Anspruch gerecht werden zu können.

Ausgeglichen durch ihre malerei

Malerei ist für Dr. Kessler ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben. Wenn sie längere Zeit nicht malen kann, dann macht sich eine innere Unruhe und Unzufriedenheit breit. Ihre wichtigen Begleiter Spiritualität und Intuition leiden darunter. Bei ihrer großen Leidenschaft, dem Malen, kann sie ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. „Man kann im Stress nicht malen. Man taucht in eine andere Welt ein und erschafft Phantasiefiguren. Viele meiner Motive sind Frauen, da ich selbst eine Frau bin und ihnen daher näher bin. So kann ich mein alter Ego ausleben“ formuliert es Dr. Kessler.

Starke Frau - starke Kunst 

Ihre Gemälde beeindrucken und das nicht nur aufgrund der hohen technischen Umsetzung. Manche Details in ihren Bildern kann man durchaus als hyperrealistisch bezeichnen, es bleibt jedoch genügend Freiraum für Interpretationen übrig. Es gibt keine Zufälle in ihren Arrangements, weder in Farbe noch im Motiv. Ihre Stillleben sind grandios gemalt und bieten immer wieder Raum für Fragen beim Betrachter oder für das eine oder andere Schmunzeln, wenn der Humor der Malerin durchkommt. So hängt beispielsweise ein Frauennegligee aus Seide mit zarter Spitzenbordüre auf einem rauen schlichten Holzbügel…

von rotkäppchen und weibsbildern

Jede ihrer Frauenfiguren in ihren Gemälden hat eine Seele und diese berührt und fesselt. Die einen strahlen neben ihrer Verletzlichkeit Stärke aus, andere sind Femme fatale oder nachdenklich, traurig und schwach. Die 1920er und 1930er Jahre haben es der Malerin angetan, eine Zeit als die Frauen begannen sich aus ihren Korsetts zu befreien. Ihre Figuren werden geschmückt, geschminkt und mit diversen Accessoires versehen.

Das Portfolio der Emotionen ist breit gefächert und letztendlich sind es die Betrachter, die entscheiden, was sie in einem Bild sehen und sehr oft ist es eine Spiegelung der eigenen momentanen emotionalen Welt. „Ich mische mich bei meinen Ausstellungen gerne unter die Menschen und manchmal höre ich von verschiedenen Menschen die unterschiedlichsten Beschreibungen zu ein und demselben Gemälde - was ich sehr interessant finde“ erläutert Dr. Kessler. Viele ihrer Frauenportraits sehen den Betrachter förmlich an und folgen ihm auf Schritt und Tritt, fast unheimlich.

Ständig experimentiert die Malerin mit neuen Techniken, Farben und Motiven und meist arbeitet sie parallel an mehreren Bildern, so lange bis sie ihre „Perfektion“ erreicht haben und manchmal auch um stellenweise nochmals darüber zu malen, denn „Bilder leben von ihren Schichten und Strukturen“.

Künstlich „alt“ mit Krakeleetechniken

Seit einigen Jahren experimentiert die Malerin mit speziellen Krakeleetechniken. Dabei wird das völlig fertiggestellte Gemälde mit mehreren Lackschichten überzogen. Ölfarbe wird aufgetragen und nach der Trocknung wird der Großteil wieder abgeschrubbt. So entsteht eine besondere Optik, die an die „alten Meister á la Goya“ erinnert. Kunstliebhaber sind von diesem Effekt begeistert.

Für Dr. Kessler ist es allerdings mehr als nur eine ästhetische Ausdrucksform neues künstlich alt erscheinen zu lassen. Sie beschreibt es so: „Ich lege in jedes Werk mein ganzes Herzblut hinein und irgendwie gebe auch ich von mir viel Preis. Besonders bei unbekleideten Motiven habe ich durch das Krakelee das Gefühl, dass ich die ‚Mädels’ nicht nackt außer Haus gebe, weil der Eindruck von räumlicher und zeitlicher Distanz entsteht. Ich fühle mich geradezu privilegiert, dass ich nicht gezwungen bin Kunst um jeden Preis zu machen oder mich künstlerisch zu prostituieren. Ich kann mir treu bleiben und das ist irgendwie mein persönlich größter Luxus. Ich will das Leute meine Bilder kaufen, weil sie sie lieben und nicht, weil sie es sich leisten können.“

Nachdem der Mensch zu den komplexesten Wesen zählt, bieten sich der interessanten Künstlerin sicher noch genügend Stoff um diese auf ihre Leinwänden zu verarbeiten. Wir sind gespannt wohin die Reise führt und vielleicht dürfen wir Sie im Rahmen einer Ausstellung auf den Kanaren begrüßen.

Wer mehr über Dr. Hilly Kessler, ihre Ausstellungen oder Vita erfahren will, kann gerne ihre Webseite besuchen:

www.hillykessler.com