Ausgabe Nr.
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J M upload 28.06.2019, Viva Edition 153 | Print article

Kurzkrimi "Von Wasser zu Wasser" Teil 2 by Rolando G. Suárez

Im Juni präsentierten wir Teil 1 (Kurzkrimi "Von Wasser zu Wasser" Teil 1 by Rolando G. Suárez ). Jetzt geht es weiter im Teil 2

„Sandra, ich weiß, der Zeitpunkt ist schlecht, aber ich habe keine Kraft mehr. Ich bin nicht der Richtige für diese Art Arbeit. Es tut mir leid, dass du dich in mir getäuscht hast.“ Ortega sah schon lange nicht mehr so gezeichnet aus. Sandra ging davon aus, dass er wieder eine schlaflose Zeit durchmachte. Der tödliche Surfunfall des Sohnes war kurz davor sich zu jähren. Sandra hatte ihn damals mit Arbeit überschüttet. Inzwischen war sie sich nicht mehr sicher, ob es die richtige Strategie war. Aber vom Bananenfall konnte sie ihn nicht abziehen, sie brauchte seine einfühlsame Art zu denken. Sie zog ihn von allen anderen Fällen ab und bat ihn darum ein letztes Mal alles durchzugehen. Ortega wendete sich den Notizen zu, die er auf vielen Blättern vor sich ausgebreitet hatte. Da war die Aussage der Ehefrau des Opfers. Aus ihr sprachen der Alkohol und eine traurige Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die schon vor dem Tod ihres Mannes vorhanden war.

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Auch hatte er mit Julio, dem Sohn des Opfers gesprochen. Der Vater war in dessen Leben nicht verankert, und wenn doch, dann negativ. Ortega hatte schnell das Gefühl, dass der Junge seinen Vater nicht besonders mochte. Das Gespräch war kurz und wenig aussagekräftig.

Dann waren da noch die Gespräche mit Leuten, die das Opfer kannten. Verwandte, Kollegen und all diejenigen, die das Bedürfnis hatten etwas zu erzählen. Er sah in keinem der Gespräche etwas dem er hätte nachgehen können. Ein Blick in die Zeitung hätte denselben Erfolg gebracht und wäre ebenso deprimierend gewesen. Zwei Dinge hatten alle Gespräche gemeinsam. Sie enthielten keinerlei brauchbare Informationen und niemand schien überrascht oder traurig zu sein. Hier und da konnte Ortega sogar ein verschmitztes Lächeln ausmachen. Er hörte nur Schlechtes über Grimaldo. Es gab eine einzige Frau, die gut über ihn sprach. Ein junges adrettes Mädchen, das sich als Freundin des Opfers ausgab.

Ortega hatte weiterhin keinen Anhaltspunkt. Doch es kam in ihm ein Gefühl auf. Eine Erinnerung an seinen früh verstorbenen Vater, zu dem er kein gutes Verhältnis hatte. Nach seinem Tod hatte er damals tagelang geweint. Das Gespräch mit Julio schien ihm nun im Nachhinein zu kurz und die Gefasstheit des Jungen kam ihm merkwürdig vor. Er beschloss nochmals mit dem Jungen zu sprechen und fuhr zu seiner Schule nach Maspalomas. Egal was für ein Verhältnis du mit deinem Vater hast, wenn er stirbt, vor allem, wenn du noch so jung bist, dann geht das nicht einfach spurlos an dir vorbei. Du zeigst irgendeine Regung. Trauer, Frust, Wut oder was auch immer aus dir rauskommt. Da spielt es keine Rolle, ob du deinen Vater gehasst hast. Ortega konnte es nicht ertragen in der Nähe von Kindern zu sein. Er fühlte sich unwohl. Er saß eine ganze Weile im Auto vor der Schule und rang mit sich selbst. Schließlich sprang er über seinen Schatten und stieg aus.

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Die Lehrerin teilte ihm mit, dass Julio die ganze Woche nicht gekommen sei. Tatsächlich, dachte sich Ortega, das hätte ich mir denken können. Julio sei ein guter Schüler, „nicht übermäßig fleißig, aber nicht so faul wie manch anderer“, versicherte sie ihm. Er sei einer der ruhigeren, der aber durchaus Freunde unter den Mitschülern hätte.

Ortega sprach mit einigen Mitschülern, aber es fiel ihm zunehmend schwer, den Äußerungen der Kinder zu folgen. Zu sehr kreisten seine Gedanken um seinen verstorbenen Sohn. Warum habe ich ihm nur das Surfboard gekauft! Mechanisch machte er sich Notizen und bekam sonst nicht viel mit. Erst später im Auto erkannte er ein Muster in den Gesprächen. Alle Mitschüler hatten zu Protokoll gegeben, das Julio stets schlecht über seinen Vater sprach. Eine Mitschülerin hatte ihm sogar von einer Geschichte berichtet, die Julio selbst erzählt haben soll. Julio hätte sich zu seinem Geburtstag einen Hund gewünscht, den er auch bekam. Er taufte ihn Plátano und sei überglücklich gewesen. Doch wenige Tage nach dem Geburtstag hätte ihm der Vater den Hund wieder weggenommen. Das sei sein eigentliches Geschenk gewesen, eine Lektion fürs Leben. Man solle sich an nichts und niemanden binden. Vor allem nicht emotional. Und schon gar nicht an ein Tier. 

Ortega fühlte mit dem Jungen mit, doch kein Sohn sollte seinen Vater nach dem Tod weiterhin hassen, egal wie schlecht der Vater ihn behandelte.

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Als Ortega zum Anwesen des Opfers in Maspalomas fuhr, um mit dem Sohn zu sprechen, rief seine Frau Yolanda an. „Ich habe eine Überraschung für Dich, mach heute nicht so lange.“ Was für eine Überraschung es sei, fragte Ortega. „Wenn ich sie dir verrate, ist es keine Überraschung mehr.“ Erst seit ein paar Wochen war ihr Verhältnis wieder besser geworden. Der Tod des einzigen Sohnes hatte die beiden auf eine harte Probe gestellt. Ihm fiel es schwerer den Tod zu verarbeiten.

Am Anwesen angekommen ertönte vor dem Tor die Stimme des Sicherheitsmannes. Doña Esmeralda sei mit ihrem Sohn an den Strand gegangen. „An welchen Strand?“ „Vielleicht Maspalomas oder Meloneras, vielleicht aber auch Playa del Inglés oder Puerto Rico.“ „Machen sie auf, ich warte bis sie wieder zurück sind.“ Er könne draußen im Auto warten, er hätte die Anweisung niemanden ohne Voranmeldung hinein zu lassen. Ortega hätte ihm am liebsten die Gurgel umgedreht. Doch er blieb ruhig und parkte auf der gegenüberliegenden Seite.

Es dämmerte bereits als Mutter und Sohn angefahren kamen. Ortega war eingeschlafen und bekam ihre Ankunft erst mit, als sich das Tor wieder schloss. Er startete das Auto, fuhr an die Freisprechanlage und das Tor öffnete sich wieder. Julio war erzählfreudiger als beim ersten Mal, aber der Tenor war der gleiche. Erneut zeigte der Junge kaum Regung und sprach generell schlecht von seinem Vater. „Weißt du Julio, auch wenn du deinen Vater nicht mochtest und er in deinen Augen kein guter Vater war, solltest du versuchen ihm zu vergeben. Ich bin sicher, dass er dich trotzdem geliebt hat.“ Kaum hatte er ausgesprochen, fing Julio an zu weinen. Als ihn Ortega trösten wollte, sprang der Junge auf, schrie sich die Kehle aus dem Leib und fing an Sachen durch das Zimmer zu schleudern.

Ortega versuchte ihn zu beruhigen. Dann kam die aufgeschreckte Mutter dazu. „Was ist denn hier los? Was haben sie meinem Sohn angetan? Raus aus meinem Haus!“ Ortega verließ geknickt das Zimmer.

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Als Esmeralda den Jungen beruhigt hatte und wieder aus dem Zimmer kam, richtete Ortega das Wort an sie. „Eine letzte Frage habe ich noch. Warum hasste er seinen Vater?“ „Was glauben sie denn, er ist nie für uns da gewesen. Hat immer nur gearbeitet und hat sich mit jungen Mädchen vergnügt. Wir waren ihm scheißegal! Und jetzt verlassen sie mein Grundstück.“

Ortega wurde vom Sicherheitsmann zum Auto begleitet, der leise vor sich hinmurmelte. „Grimaldo war ein guter Mensch. Und er liebte seinen Sohn über alles.“ Ortega fragte verblüfft nach, was er damit meinte, doch der Sicherheitsmann drehte sich unter dem strengen Blick von Esmeralda weg und lief wieder ins Haus. Dann klingelte Ortegas Handy.

„Ortega, wir haben eine heiße Spur. Ein anonymer Anruf. Wo sind sie?“ „Ich bin auf Grimaldos Anwesen.“ „Was zum Teufel machen sie dort?“ „Ich wollte noch einmal mit dem Jungen sprechen.“ „Das ist pure Zeitverschwendung, kommen sie so schnell es geht her.“

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Ortega überlegte. Sein Verstand sagte, er solle gehen, sein Herz sagte, er solle wieder zurück ins Haus. Bevor er losfuhr, schrieb er in sein Notizbuch: „Sicherheitsmann? Reden!“.

Auf dem Weg zurück rief Ortega Yolanda an. „Schatz, es tut mir leid, es gibt eine heiße Spur. Darauf haben wir die letzten Tage gewartet. Das könnte der Durchbruch sein. Eine lange Nacht steht uns bevor.“ Yolanda reagierte zu seinem Erstaunen mit Verständnis. „Geh deiner heißen Spur nach. Ich lege dir die Überraschung auf den Küchentisch. Ich liebe dich.“

Ortega wurde unterrichtet, dass Grimaldo einen Konkurrenten aufkaufen wollte. Die Verhandlungen seien geheim gewesen und fanden nur zwischen Grimaldo und dem Senior der anderen Bananenfirma statt. Antonio, der Sohn des Seniors, der die Geschicke der Firma leitete und als äußerst aufbrausend galt, wurde außen vorgelassen. Doch zwei Tage vor Grimaldos Tod bekam er Wind davon. In Rage stellte er seinen Vater zur Rede und schlug ihn sogar krankenhausreif. Und in diesem Zuge soll Antonio gedroht haben Grimaldo umzubringen. „Wir holen ihn uns noch heute Nacht!“, stellte Sandra klar.          Rolando G. Suárez

... Fortsetzung III. am 1. August 2019.