Ausgabe Nr.
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J M upload 30.01.2020, Viva Edition 160 | Print article

Schweizer Unternehmer: Erfolgsrezept Nische ... Urs & Doris Fischer

Den Traum vom Leben an der Sonne haben viele Menschen versucht zu realisieren und dabei die Herausforderungen in einem fremden Land unterschätzt. Oder war es doch eine mangelhafte Vorbereitung und überbordende Überschätzung des eigenen Könnens? Manche TV-Erfolgsformate fokussieren sich bei ihrem Bestreben nach hohen Einschaltquoten auf gescheiterte Existenzen, die ihren Traum nach kurzer Zeit wieder bei Seite schieben müssen. Wir wollen in dieser Ausgabe unsere Serie der Erfolgsunternehmer auf den Kanarischen Inseln mit einem Schweizer Ehepaar fortsetzen, das mit ihrem Zugang zum Auswandern für mich fast ein Paradebeispiel darstellt, wie man es erfolgreich meistern kann: Urs und Doris Fischer von Marmoloro.

Auswanderer erfolgreich in einer Nische

Wir begeben uns nach El Tablero de Maspalomas, wo wir uns in ihrem Firmensitz von Marmoloro mit ihnen treffen. Fast ein wenig versteckt befindet sich der Eingang an der Rückseite eines Gebäudes in der Calle Puntarenas. Vor der schweren Metalltüre steht eine Autohebebühne und dahinter eine Art ‚Anhängerkompressor’, der ganze Stolz des Eigentümers - aber dazu später. Das Innere ist mit Schweizer Gründlichkeit fein säuberlich geputzt und geordnet. Unzählige Behältnisse, Geräte, Kabel etc. vermitteln mir noch immer nicht genau, was die eigentliche Geschäftstätigkeit dieser Jungunternehmer ist. Sie begrüßen uns mit einer herzlichen Gastfreundschaft und wir setzen uns in eine gemütliche Sitzecke, die in diesem Lagerraum fast ein wenig fremd anmutet. Beide tragen mit Stolz ein Poloshirt mit ihrem Firmenlogo.

Der Oberflächenspezialist aus der Schweiz

er redselige Urs erklärt uns sogleich: „Die Trockeneisreinigung ist unser Hauptgeschäft. Dies ist gerade auf dem Archipel besonders wichtig, da es oftmals viel Staub gibt und dieser sich bis in die kleinsten Ritzen und Spalten absetzt. Das kann dazu führen, dass es zu Kurzschlüssen kommt oder anderen Störungen, beispielsweise bei Telefon- oder Elektroinstallationen, insbesondere wenn diese sich im Freien befinden. Gleiches gilt für technische Installationen und Geräte im Industriesegment, denn diese werden immer komplexer. Ohne Elektronik läuft praktisch nichts mehr. Gleiches gilt für Autos und LKWs. Die heutigen Motoren bzw. Autos haben derart viel Elektronik und Steuergeräte, dass man sie nicht mit Wasser reinigen darf - sonst könnten die Sensoren kaputt gehen.“

Urs lässt es sich nicht nehmen, dies anhand meines SUVs zu demonstrieren und öffnet die Motorhaube, nicht ohne einen Blick meiner aufkommenden Verlegenheit lächelnd zu übergehen. Ehrlich gesagt, kam es mir nicht in den Sinn, dass ein 2 Jahre altes Auto nach so kurzer Zeit einen derart jämmerlichen Anblick bieten könnte (siehe Foto o.)und selbst habe ich noch nie hineingesehen. Ölwechsel und Co überließ ich dem netten Personal an der Tankstelle meines Vertrauens, doch die schien der Anblick nicht sonderlich zu kümmern. Doris gibt mir einen Gehörschutz und mit Inbetriebnahme dieses sonderlichen Kompressors wird mir klar warum. Doris öffnet den Deckel einer Kiste mit Trockeneis und wartet auf das Kopfnicken ihres Ehemannes, bevor sie eine Schaufel davon in das Gerät füllt. Urs hält sich mit einem Schlauch bereit und lenkt das pistolenähnliche Ende über die Nischen und Furchen des Motors. Mit staundenden Augen begutachte ich, wie dieser ohne Mühe und wie von Geisterhand nach keiner Viertelstunde in neuem Glanz erscheint, fast jungfräulich, als wäre dieser noch nie in Betrieb gewesen.

Urs lächelt und scheint zufrieden über das Resultat seiner Demonstration und führt mit stolzgeschwellter Brust fort: „Für den Kompressor musste ich ein halbes Jahr warten, bis ich endlich die Fahrbewilligung (matrícula) erhielt. Der Vorteil an diesem Gerät liegt nämlich darin, dass dieses Modell mobil ist. Das heißt, dass ich auch beim Kunden vor Ort arbeiten kann, was mir sukzessive immer mehr Aufträge auch im Industriebereich beschert. Die Trockeneisanlage, ebenfalls ein Qualitätsprodukt, habe ich auch der Schweiz, da man es hier nicht kaufen kann. Es ist meines Wissens die einzige dieser Art aus Gran Canaria.“

Bedarf gibt es genügend, denn es spricht sich schnell herum, wenn man in einer Nische tätig ist und Urs fährt fort: „Der Großteil meiner Kunden besteht inzwischen aus Spaniern, aber auch Schweizer und Deutsche. Das schöne dabei ist, dass ich nicht  

nur Großmaschinen und Motoren damit perfekt reinigen kann sondern auch filigrane Geräte, wie beispielsweise Computer. Dazu kommt, dass die Trockeneisreinigung lebensmittelneutral ist, keine Rückstände hinterlässt (Feuchtigkeit, Chemie etc.) und nicht abrasiv ist, ergo, die Oberflächen nicht beschädigt.“

Aber wie schafft man es, sich als Ausländer in so kurzer Zeit zu etablieren? 

Wie wir erfahren, arbeitet Marmoloro inzwischen auch mit Behörden und Versicherungen zusammen. Der verheerende Brand im letzten Jahr soll angeblich durch einen Kurzschluss in einer Elektroschaltstelle in den Bergen entstanden sein und dieses Bewusstsein und die damit verbundenen Maßnahmen sorgen für viele Aufträge.

Vorbereitung ist das A und O des Erfolgs

Beide erklären: „Wir haben uns sehr lange und sehr gründlich auf die Emigration vorbereitet. Nach unserem ersten Urlaub im Jahr 1991 keimte dieser geheime Wunsch und wir sind wegen des schönen Klimas immer wieder gekommen und haben vor einigen Jahren sogar ‚probegewohnt‘, um uns mit dem Alltag vertraut zu machen. Vor drei Jahren haben wir erstmals einen Bungalow für ein ganzes Jahr gemietet und uns auf das Erlernen der Sprache konzentriert und über Monate jeden Tag intensiv Sprachunterricht genommen. Unsere Kinder haben wir langsam an den Gedanken gewöhnt. Wir wollten warten, bis sie eigenständig sind, bis wir unseren Traum realisieren. Unsere heute 25-jährige Tochter ist Moderatorin in einem Radiosender und sie kommt uns mehrmals im Jahr besuchen. Der 27-jährige Sohnemann hat das Geschäft in der Schweiz, die Kristallglanz GmbH. in Dietikon bei Zürich, übernommen und konzentriert sich auf die Renovierung von Natursteinböden, wie z. B. Marmor und Granit. Unser größter Mentor hier war Carlos Alonso, ein spanischer Unternehmer, der uns sehr geholfen hat, wie beispielsweise das Lokal und die ersten Partnerfirmen zu finden. Das war unser großes Glück. Heute bin ich Mitglied im Club der Unternehmer.“

Club der Unternehmer

Ein ‚echtes Businessnetwork für die Praxis‘  

Jeden Freitag treffen sich die Mitglieder dieses Clubs BNI (Business Network International) im Hotel H10 in Meloneras, wie wir erfahren. Urs erläutert mit Begeisterung: „Es ist ein echtes Netzwerk, in welchem sich die Geschäftsleute gegenseitig helfen wollen und es auch tun. Fachleute und Klein(st)unternehmer aus verschiedensten Branchen sind vertreten und geben sich gegenseitig Tipps, besonders hinsichtlich seriöser Facharbeiter, Lieferanten oder Produzenten für Sonderaufträge. Wenn man in seinem Metier gut ist, dann läuft es durch die Mund-zu-Mund Propaganda automatisch. Daher sind die meisten meiner Kunden heutzutage Spanier!“

Der Oberflächenprofi

Auch wenn Urs mit neuen Herausforderungen konfrontiert war und ist, so war ihm immer klar, was er kann: „Ich bin hier genau in dem Segment tätig, in dem ich in meiner Heimat seit 30 Jahren erfolgreich mein Unternehmen leitete und, bei aller Bescheidenheit, es zu einem Namen gebracht habe mit meiner Expertise. Nachdem ich bemerkt habe, dass es hier in dieser Nische keine wirklichen Mitbewerber in diesem Segment gibt, war mein Entschluss gestärkt. Ich habe Maschinen im Wert von 50.000 Euro mitgenommen und hier nochmals knapp 80.000 investiert. Sie gehören uns und ich kann sie jederzeit wieder in einen Container packen und in meine Heimat zurückkehren - was ein beruhigendes Gefühl ist. In der Schweiz wartet genug Arbeit.

Ehefrau zum ‚Lehrling‘

„Ich war 30 Jahre lang in der Schweiz als Perückenfachfrau tätig und habe erst hier begonnen mich mit dieser Materie der Oberflächenbehandlungen zu beschäftigen. Da wir eigentlich alles immer gemeinsam machen, kenne ich mich inzwischen auch sehr gut aus und habe sogar schon alleine sandgestrahlt.“ sagt sie mit ihrer bescheidenen ruhigen Art.

Vom Tüftler zum hochspezialisierten Profi

Urs ergänzt: „Trockeneisreinigung ist ein Geschäftsbereich, doch ich mache alles, was mit Oberflächenreinigung und Oberflächenbehandlung zu tun hat. Dabei verwende ich ausschließlich Qualitätsmaschinen und -werkzeuge. Es ist ein riesiger Unterschied und zwar nicht nur während des Arbeitens, sondern vor allem beim Endresultat. Es macht mir ungeheuren Spaß mit neuen Problemstellungen konfrontiert zu werden, denn dann tüftle ich so lange, bis ich eine Lösung finde.“ 

Ja, manche sind Mitglied in einem Rätselclub und Urs scheint seine Liebe zum Enträtseln eher praxisbezogen auszuleben. 

Es ist alles Gold, was glänzt …

Urs führt uns an einen Tisch mit einer Reihe von Gegenständen, die er zur Veranschaulichung für uns vorbereitet hat: „Wir sind Spezialist für Oberflächenreinigungen und Behandlungen von allen Arten von Metallen, wie z. B. die Reinigung von Silber.“ Er deutet auf die Unterschiede von vor und nach der Behandlung, die das Endprodukt auf dem Sideboard erstrahlen lässt, wie z. B. Butterschalen, Zuckerdosen und jede Menge Besteck und Urs fährt fort: „Das Vergolden ist auch eines unserer Spezialitäten während verschiedene Methoden zum Einsatz kommen. Entweder geschieht dies in einem sogenannten galvanischen Bad in dem eine hauchdünne Schicht Gold an dem Objekt angelagert wird. Dabei können wir auf den Objekten auch Schriftzüge oder Logos platzieren. Eine andere Methode ist das Vergolden mit Blattgold mittels Pinseln, wie z. B. für Bilderrahmen oder Ziergegenstände. Wir machen auch alle möglichen Beschriftungen, z. B. an Autos, Geräten oder sogar auf Bekleidungen.“

Der Oberflächenprofi hat sogar Alltagsgegenstände zum Teil komplett vergoldet, wie z. B. eine Kaffeemaschine, Kleiderhaken, Topfuntersetzer etc. Aber auch nette Spielereien, wie beispielsweise Autoschlüssel oder gar Autofelgen. Wie ich erfuhr sorgte das in Zürich für Aufsehen, aber wer kann und will, der soll ... 

Meine Gedanken kreisen, bereichert um diese neuen Erkenntnisse, um wunderbare Geschenkideen. Überrascht stelle ich fest, dass die Vergoldungen bei weitem günstiger sind, als ich es mir gedacht habe. Wir haben zum Veranschaulichen einen handelsüblichen Abflusssieb genommen (siehe Fotos). Denn manchmal hat man ein (fast) pefekt designtes Interieur und es stört nur ein kleines Detail....

3D Drucker, ein Extraspielzeug gegen die Wegwerfindustrie

Ganz stolz führt uns Urs zu seinem neuen Spielzeug, ein 3D Drucker und erklärt lächelnd: „Heutzutage wird viel zu viel weggeschmissen, einfach auch deswegen, weil es schwierig ist Ersatzteile zu finden. Mitunter bricht ein kleines Kunststoffstück in einer Kaffeemaschine weg oder man benötigt Füßchen unter einem Kerzenständer oder Topfwärmer, um die Tischplatten nicht zu zerkratzen. Dann tüftle ich wieder, entwerfe es und drucke es am 3D-Drucker einfach aus. Es ist genial.“

Moderate Preise

Trockeneisstrahlen kostet 3,50 Euro pro Minute im Werk ab Start (Die Maschine hat einen eingebauten Zeitmesser.) Normalerweise dauert es in etwa eine Viertelstunde. Falls Urs mit seinem Gerät zum Kunden vor Ort anfährt, kostet es allerdings 4,90 Euro pro Minute. 

Der Preis wird nach effektiver Strahlzeit bemessen. Beinhaltet ist: Trockeneis, Kompressor inklusive Treibstoffverbrauch, Maschinen, Material und Arbeitszeit. 35 Euro kostet die Arbeitstunde. Mindestauftragspauschale beträgt 35 Euro.

Wir bedanken uns für das herrlich offenen Gespräch und wünschen Urs und Doris viel Erfolg!              Julija Major