Ausgabe Nr.
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J M upload 01.10.2023, Viva Edition 204 | Print article

Spanien: Selbstständige haben Pflichten ... aber auch Rechte, die sie aus Unkenntnis oft nicht in Anspruch nehmen!

Insbesondere im Krankheitsfall verzichten viele Autónomos in Spanien auf die ihnen zustehenden Zahlungen - aus Unwissenheit und/oder, weil sie schlechte Steuerberater haben. Wir klären auf!

In Spanien müssen selbständig Erwerbstätige (Dienstleister, Freelancer, Unternehmer), also all jene, die auf eigene Rechnung Leistungen erbringen, versichert sein - so wie in vielen Ländern in der EU. Dafür entrichten diese Autónomos einen monatlichen Obolus an die Allgemeine Sozialversicherungskasse (Tesorería de la Seguridad Social, kurz TSS genannt). Ergo: Sobald man eine Geschäftsaktivität angemeldet hat, fällt diese Versicherung an.

Selbstständige verfügen also über eine Unfall- und Krankenversicherung, die im Anlassfall Zahlungen leistet. Viele wissen das nicht und verzichten daher, wenngleich unwissentlich, auf die ihnen zustehenden Zahlungen von Krankengeld etc. Automatisch passiert allerdings nichts. Selbstständige müssen sich daher im Anlassfall eigenständig darum bemühen bzw. aktiv werden. Daher wollen wir dieses Mal die selbstständig Erwerbstätigen in den Fokus rücken.

Gesetzliche Ausgangslage

Selbstständige verfügen über eine Unfall- und Krankenversicherung, die von privaten Versicherungsunternehmen erbracht wird. Dabei handelt es sich um Non-Profit-Verbände, die von der staatlichen Sozialversicherung überwacht werden und vom spanischen Ministerium für Arbeit und Soziales (Ministerio de Empleo y Seguridad Sozial) autorisiert sind und über eine Vereinbarung mit der gesetzlichen Krankenversicherung (Seguridad Social) verfügen.

Das ist im Ley 35/2014 vom 26. Dezember geregelt. Mit Königlichem Dekret 13/2022 vom 26. Juli wurde ein neues System für die Berechnungsgrundlage der Quoten für Selbstständigen festgelegt und der Schutz bei Arbeitsunfähigkeit verbessert. Es gibt also mehrere Dienstleister, wie z. B. Freemap, MAC oder Mutua, wobei letztere auf den Kanarischen Inseln der Platzhirsch ist. Im Folgenden verwenden wir daher stellvertretend den Begriff Mutua. Alle Anbieter werden im System RETA (Régimen Especial de trabajadores autónomos) erfasst.

Siehe auch: https://www.boe.es/diario_boe/txt.php?id=BOE-A-2014-13568

In Krisenzeiten

Während und nach der Covid-Pandemie oder beim Vulkanausbruch auf La Palma haben viele Autónomos ihre Mutua zum ersten Mal überhaupt erst zur Kenntnis genommen. Zum Tragen kam dabei der Schutz im Falle der Einstellung der Tätigkeit (Protección por cese de actividad), zu der es in vielen Fällen gekommen war. Z. B. Staatlich verordnete temporäre Schließung der Geschäftsaktivität führte zu verloren gegangenem Auftragsvolumen und Einkommensverlusten. Diese wurden zwar nicht kompensiert, aber es wurden monatliche Fixbeträge ausbezahlt, die zumindetst ein Überleben ermöglichen. Die Selbstständigen wurden davon über ihre Steuerberatungsbüros (Gestorías) informiert, die wiederum die entsprechenden Anträge stellten. Manche haben enormen Gebühren dafür verlangt, andere haben es kostenlos getan und betrachteten diese Arbeit als Service (Tipp: Vielleicht ist es eine Überlegung wert, die tatsächlichen Leistungen des Steuerberaters neu zu bewerten und nicht nur die monatliche Gebühr zu betrachten).

Voraussetzungen für Zahlungsanspruch für Selbstständige

Bei der Gewerbeanmeldung muss automatisch eine Mutua ausgewählt werden, was meist auf Empfehlung des Steuerberaters erfolgt, der sich auf seine Erfahrung beruft und eine auswählt, die auch räumlich in der Nähe ist - im Fall der Fälle. 

Um in den Genuss von Hilfen oder Zahlungen zu kommen, müssen Selbstständige ihr Gewerbe aktiv angemeldeten haben (Alta) und während der letzten fünf Jahre mindestens 180 Tage Beitragszahlungen geleistet haben. Es dürfen keine Außenstände bei den Beitragszahlungen der Sozialversicherung vorhanden bzw. müssen auf dem Laufenden sein (estar en corriente).

Grundsätzlich erbringt die Mutua folgende Leistungen:

- Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit in Folge allgemeiner Erkrankungen und Unfällen privater Natur (contingencias comunes)
- Arbeitsunfähigkeit in Folge eines Arbeitsunfalls (bei unmittelbarer Ausübung der Tätigkeit sowie auf dem Weg von und zur Arbeit); Berufskrankheiten bei explizitem Abschluss (contingencias profesionales)
- Risiken während der Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit und seit Juni 2023 Menstruationsprobleme und Schwangerschaftsabbruch;
- Pflege von Minderjährigen, die an Krebs oder anderen schweren Krankheiten leiden;
- ärztliche Betreuung im Ausland
- Verwaltung von Leistungen für Selbstständige, die ihre Selbstständigkeit aufgeben müssen
- Aktivitäten zur Vorbeugung von Arbeitsunfällen

Achtung: Viele Selbstständige wählen die günstigsten Beitragszahlungen auf Basis minimaler Bemessungsgrundlagen. Mitunter bedeutet das, dass im Krankheitsfall keine Lohnfortzahlung durch die Mutua gedeckt ist.

Zuerst zum Hausarzt oder zur Mutua?

Wer krank ist wendet sich zuerst zur medizinischen Versorgung und das trifft auch für Selbstständige zu. Die erkrankte Person muss sich an seinen zugewiesenen Vertrauensarzt (médico cabecera, Der Name steht für gewöhnlich auf der Sozialversicherungskarte) im nächstgelegenen Gesundheitszentrum (Centro de Salud) wenden und ihre Krankenversicherungskarte (Tarjeta Sanitaria) vorlegen.

Bei Unfällen bzw. Notfällen, muss man sich an die Notaufnahme (Urgencias) wenden bzw. wird ins Krankenhaus eingeliefert. 

Nach der Diagnose erhalten Sie gegebenenfalls eine Bescheinigung über die Krankmeldung (Baja) bzw. erfolgt eine Baja bei Unfällen im Krankenhaus automatisch.

Nachdem eine Weitermeldung an Mutua bei Selbstständigen nicht immer reibungslos bzw. automatisch erfolgt, sollen Sie jedenfalls selbst Ihre zuständige Stelle informieren und sich eine Bescheinigung Ihrer Krankmeldung zukommen lassen. 

In Ihrer Versicherungspolice sowie auf den jeweiligen Webseiten finden sich die nötigen Kontaktdaten, wie z. B. Telefonhotline, Emailadressen, ggfs. hilft auch Ihr Steuerberater. Jedenfalls müssen Sie sich  persönlich oder telematisch bei der Mutua melden bzw. vorsprechen, je nach Vorfall. Mitunter wird eine Vorsprache bei einem unabhängigen von der Mutua besetzten Gutachter verlangt, der die medizinische Situation bestätigt.

Arbeitslos - was nun?

Seit Oktober 2018 müssen Autónomos auch Beiträge in die Arbeitslosenversicherung zahlen. Hierdurch kann sich ein Anspruch ergeben, falls aus diversen Gründen eine teilweise oder komplette Einstellung der Geschäftstätigkeit erfolgt bzw. erfolgen muss (cese de actividad oder cese de actividad parcial).

Bei Niederlegung der Geschäftstätigkeit kann evtl. eine Lohnfortzahlung (Prestación por Desempleo, auch „Paro de Autónomos“ genannt), für einen maximalen Zeitraum von 24 Monaten erwirkt werden. Das erfolgt jedoch nach strengsten Kriterien und nach individueller Prüfung des Anlassfalls des Beitragszahlers (Beitragshöhe, Familienkonstellation, gesundheitlichen Beschwerden, Langzeitfolgen, Arbeitsunfähigkeit etc.).

Fazit

Eine Krankheit oder ein Unfall bedeuten immer auch eine emotionale Notlage. Man hat keinen Kopf für Bürokratie und ist eventuell nicht in der Lage diese zu meistern. In der Regel vermittelt bzw. unterstützt das eigene Steuerberatungsbüro in behördlichen Angelegenheiten sowie bei der Mutua.

Es kann nicht schaden, Ihre Vertragskonditionen mit der Mutua zu revidieren, um ggf. die Gesellschaft innerhalb der gesetzlich festgelegten Fristen zu wechseln.

Julija Major