Ausgabe Nr.
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J M upload 05.05.2018, Viva Edition 105 | Print article

Vom Piratenversteck zum Naturdenkmal - Cuevas de Ajuy auf Fuerteventura

Auf Fuerteventura gibt es nichts, nur Ziegen und Strände“, diese Aussage weckte eines Tages mein Interesse. Was ist nichts? Also entschloss ich mich zu einem dreitägigen Kurztrip zu unserer Nachbarinsel, um dem selbst auf die Spur zu gehen. Dabei entdeckte ich, dass dieses ‚Nichts‘ vielseitig und faszinierend ist und schon am ersten Tag wurde mir klar, dass Fuerteventura genügend Stoff für einen Mehrteiler bietet. In meinem ersten Teil entführe ich Sie gleich zu einem ganz außergewöhnlichen Naturdenkmal, Cuevas de Ajuy.

Die Fahrt durch das ‚Nichts‘

Diesen Ausflug zu den beeindruckenden Höhlenformationen „Cuevas de Ajuy“ an der bizarren Steilküste im Westen der Insel sowie die historischen Kalköfen starte ich in Puerto del Rosario. Von dort fahre ich westwärts in Richtung Betancuria, der einstigen Hauptstadt von Fuerteventura. Die Straßen sind super ausgebaut und angenehm zu befahren. Die ruhige Tour ist beinahe meditativ, denn weder Mensch noch Verkehr stressen diese Fahrt. Im Gegenteil, man ist mit sich, dem Wind und der Stille, alleine. Die kaum bewachsene steppenartige Gegend erinnert mit seinen Weiten an Prärien. Auf dieser ruhigen und bequemen Tour könnte man mitunter dazu verführt werden, zu schnell zu fahren. Auf jeden Fall ist Verirren beinahe ausgeschlossen.

Die älteste Kanareninsel - Fuerteventura

Fuerteventura, die älteste der Kanarischen Inseln, entstand vor etwa 22 bis 20 Millionen Jahren als Folge der Vulkanaktivitäten. Es ist die Insel mit den meisten Wüstenlandschaften, die sich im Laufe der Zeit aufgrund natürlicher Ursachen sowie menschlicher Aktivitäten sogar noch verstärkt haben. Die flächenmäßig größte Insel ist zugleich die am dünnsten besiedelte Insel des Archipels mit nur 104.072 Einwohnern und das, obwohl sich die Bevölkerungszahl zwischen 1996 und 2006 beinahe verdoppelt hat. Ein Drittel davon sind Ausländer, die Fuerteventura in den letzten Jahren für sich entdeckt haben. 

Ein Muss: Zwischenstop am "Mirador Morro Velosa"

Kurz vor Betancuria müssen Sie einen Zwischenstopp am Aussichtspunkt„Mirador Morro Velosa“ einlegen (siehe Foto 02), der sich auf der Spitze des Berges Tegú auf 669 Metern Höhe befindet. Eingebettet im Naturpark von Betancuria haben Sie von dort aus einen herrlichen Panoramablick auf die Umgebung. Hier denkt man nicht unbedingt an den Werbeslogan „Die Karibik Europas“, wie ich es bei Reiseveranstaltern gesehen habe. Nichtsdestotrotz, die großen Weiten mit warmen Erdtönen in der brachialen Gegend machen einen gewissen Reiz aus. (Geöffnet: Täglich von 10.00 - 18.00 Uhr).

Ich fahre konsequent weiter auf der FV-30 in Richtung Pájara. Dieses beschauliche Städtchen bettet sich wie eine grüne Oase inmitten einer Wüstenlandschaft ein. Vor der Ortschaft wähle ich die Abzweigung FV-621 und erreiche nach sieben Kilometern Ajuy.

Ajuy: An der schwarzen Bucht „Caleta negra“

Einst herrschte hier in dem Fischernest Puerto de la Peña, wie Ajuy auch noch genannt wird, reges Treiben. Heute ist Ajuy vornehmlich an Wochenenden von Einheimischen bewohnt bzw. wird tagsüber von Touristen frequentiert, die die spektakulären „Cuevas de Ajuy“ besichtigen wollen.  Diese wurden 1994 zum Naturdenkmal erklärt und ein Besuch ist aus vielerlei Hinsicht lohnenswert. Die Restaurants sind nur tagsüber geöffnet, bieten aber frischen Fisch und typisch regionale Gerichte an.

Caleta Negra heißt dieser spektakuläre, etwa zehn Kilometer lange, wild zerklüftete Küstenabschnitt von Ajuy. Die wilde Brandung hat im Laufe der Zeit bizarre Felsformationen kreiert, die wie abstrakte Skulpturen wirken und unweigerlich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. Wagemutige Seemänner ließen sich nicht von der starken Brandung abhalten und luden den in den dortigen Öfen produzierten Kalk, der zumeist nach Gran Canaria verschifft wurde, an Bord. Höhepunkt der Produktion war von ca. 1850 bis in die 1960er Jahre, als der Kalk durch Zementimporte obsolet wurde. Auch das Syenit wurde abgebaut, das der Herstellung von Pflastersteinen diente und beispielsweise für den Bau von Straßen verwendet wurde. Viele der Gassen in der Altstadt Vegueta in  Las Palmas de Gran Canaria sind mit den Steinen aus Ajuy ausgelegt worden.

Einzigartiges Gestein - 100 Millionen Jahre alt

Völkerkundler finden die Relikte des einstigen Kalkabbaus interessant. Für Geologen sind die ozeanischen Sedimente, marinen Fossilien (ca. 5 Millionen Jahre alt) und nicht zuletzt die Gesteinsablagerungen von großem Interesse. Vor allem das Phtanit ist extrem alt und es stülpte sich aus den Tiefen des Ozeanbodens an die Oberfläche empor. Sein Alter wird auf 100 Millionen Jahre geschätzt (Kreide- und Jurazeit) und es gibt weltweit nur wenige Plätze, an denen sich derart altes Gestein befindet.

Der "Strand der Toten" - Versteck der piraten

Das erste Stück auf dem Weg zu diesen „Cuevas de Ajuy“ ist leicht ansteigend (Foto 05) und bietet einen herrlichen Blick auf die kleine Bucht „Playa de los Muertos“ (Strand der Toten - siehe Foto 01) mit seinem tiefschwarzen Sandstrand. Hier findet man Naturliebhaber, die abseits vom Massentourismus die Sonne vor der Kulisse dieser herben Szenerie genießen. Für Schwimmer ist es nicht so gut geeignet, denn die Unterströmungen sind zu stark. Der Name stammt noch aus einer Zeit, als Piraten hier landeten und ein fürchterliches Blutbad anrichteten. 

Die oberste Erdschicht (Pliozäne Dünen) besteht aus Muschel-, Schnecken- und Algenfossilien (Calcarenitas). Sie weisen auf das wärmere Klima hin. Informationstafeln erläutern in bestimmten Abständen Hintergründe. Der Weg macht nun eine Biegung (Foto 04) und führt entlang dieser sensationellen Steilküste (Foto 05). Gott Neptun scheint das Meer für ein besonderes Schauspiel und Klangerlebnis bestellt zu haben und klar machen zu wollen, dass die Natur sein Untertan ist. Mächtig und unüberhörbar donnert die Gischt an zum Teil kuriose Felsformationen, die im Laufe der vielen Jahrmillionen förmlich zu abstrakten Gebilden geformt haben.

Ich folge diesem Trampelweg, der durchwegs mit einer Holzbrüstung abgesichert ist. Zwar ist es steinig und man muss darauf achten, wohin man tritt. Dafür ist es wenigstens eben (und das dankt mir meine Lunge).

Ehemaliger Kalkbrennofen von Ajuy - Aussicht inklusive

Nach etwa zehn Minuten erreicht man den Mirador an den Kalkbrennöfen. Darin wurde Kalkstein, der einen hohen Gehalt an Kalziumkarbonat (fachspr. Calciumcarbonat) hatte, zu Branntkalk verarbeitet. Über einige Steinstufen (Foto 06) gelangt man hinab zur Öffnung. Wenn man sich ein wenig bückt, kann man sogar hineingehen (Foto 08). Drinnen ist es schummrig und etwas frischer als draussen in der gleissenden Sonne. Die Holzbalken an der Abdeckung werfen ihre Schatten an die Innenwände. Der Kalk wurde damals von diesen Kalköfen zur Verladerampe gebracht und dort auf die Schiffe verladen. Ich steige die paar Stufen wieder hoch und bin glücklich, dass der Wind auf dieser Erkundungstour für etwas Abkühlung sorgt. Immer wieder kommen mir andere Besucher entgegen und trotzdem habe ich nicht das Gefühl es sei überfüllt.

IMPOSANT: LAVAGROTTE - DAS „AMPHITHEATER“

Nach weiteren etwa fünf Minuten gelangt man zu steilen Steinstufen (Foto 09), die entlang einer schwarzen Felswand (Foto 10) hinab in die etwa vierzig Meter hohe Grotte führen (Foto 11 und 12). Die „Cuevas de Ajuy“ sind zwar von der Natur erschaffen, der Mensch half aber ein bisschen nach. Bis zu 24 Meter hoch reicht die große Höhle, die einst auch Piraten ein gutes Versteck für ihre Beute geboten haben mag. Hier müssen die Abenteuerromane geschrieben worden sein, sinniere ich fantasievoll. Man ist unweigerlich beeindruckt, man fühlt sich klein und unbedeutend und ich genieße in Ehrfurcht diesen wunderbaren Ort. Er diente während der Kalkproduktion als Lagerraum. Das dramatische Geräusch des Meeres wird hier noch verstärkt, fast wie in einem Amphitheater. Es lohnt sich  die Felswände mit den verschiedenen Gesteinsschichten zu betrachten, die durch ihre Farbnuancen und Oberflächenbeschaffenheit fesseln.

Am Ende dieser Höhle befindet sich ein schmaler, mit einem weißen Pfeil gekennzeichneter Durchgang, durch den man in die dahinter liegende Höhle gelangt. Sie soll bis zu 600 Meter lang sein. Von einer Erkundung ohne Ausrüstung und Know-How ist dringend abzuraten. Es ist nicht nur stockfinster, sondern auch gefährlich, besonders zur Flut oder bei rauer See. In diesem Bereich sind Wissenschaftler und Höhlenforscher tätig. Das positive Hochgefühl wird durch den nun bevorstehenden beschwerlichen Aufstieg der steilen Steinstufen nicht gemindert, den dieser für unsportliche Menschen wie mich bedeutet. Oben angelangt kommt man an eine Biegung und kann den Weg nun zurück zum Ausgangspunkt gehen. Wenn man aber schon hier ist, dann sollte man unbedingt diese Entdeckungstour mit einer weiteren Naturattraktion ergänzen und zwar mit der kuriosen Felsformation „Peña Horadada“ (Foto 13).

ATTRAKTIV: DAS FELSENTOR „PEÑA HORADADA“

Folgt man den Steilklippen nordwärts etwa fünf Kilometer, dann gelangt man zur Mündung des Barranco de la Peña. Das besagte Felsentor sieht auf den ersten Blick ganz ‚gewöhnlich‘ aus, doch wenn man sich nähert und durch die Öffnung das Meer dahinter sieht, dann entfaltet sich die volle Pracht. Diese Stelle ist eine der unbekanntesten der Insel und ein Geheimtipp unter Individualtouristen. Rechter Hand befindet sich eine Bucht mit Kieselstrand, wo Sie ein kühlendes Bad nehmen können, sofern die See ruhig ist. In beiden Fällen, ob Sie das hier beschriebene Felsentor zu ihrem Ausflug dazu nehmen oder nicht, ist der Rückweg identisch mit dem Hinweg. Beachten Sie aber, dass Sie auf dieser Wanderung keine Möglichkeit der Einkehr haben und daher sollten Sie auf jeden Fall genügend Wasser mitführen.

Fazit: Die Cuevas de Ajuy sind ein sehenswerter Geheimtipp. Sie sind bequem zu erreichen und dazu noch leicht zu finden. Die Wanderung ist auch für ungeübte Tourengeher machbar, die für ihren Einsatz mit traumhaften Ausblicken und pittoresken Szenerien einer wunderbar unberührten Natur belohnt werden. Darüber hinaus ist dieser Ausflug kostenlos, was in diesen Tagen einem immer größer werdenden Seltenheitswert entspricht. In einem der kleinen Restaurants in Ajuy können Sie zu fairen Preisen regionale Spezialitäten (Zicklein) und natürlich frische Fischgerichte genießen.

Nachtrag: Pisoide

Eine  durchaus auch geologisch bemerkenswerte Gegend  auf Fuerteventura ist die weitläufige Erosions-Landschaft  (badlands) nordwestl. Puerto del Rosario: dort sind dann nicht einmal mehr Ziegen, aber interessante mineralogische Bildungen: sogenannte Pisoide haben sich an der heutigen Oberfläche angereichert. Das sind konzentrisch aufgebaute Lagen von Eisenhydroxid also runde,

bräunliche Kugeln, so wie sie auch auf Lanzarote am Hang zum Castillo Santa Barbara bei Teguise beobachtet werden können. Hans Werner