Ausgabe Nr.
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J M upload 04.05.2020, Viva Edition 163 | Print article

Wandern zum Pico de Osorio

Die nervenaufreibende Zeit, der Isolation in den eigenen vier Wänden geht irgendwann zu Ende und dann ist die unbeschreibliche Schönheit der Natur und deren kraftspendende Energie eine willkommene Abwechslung - für die meisten von uns! Für den ‚Stresskiller Wandern‘ bietet die abwechslungsreiche Landschaft auf Gran Canaria unzählige Möglichkeiten. Und das auch für jemanden auf meinem ‚Fitnessniveau‘, wenn ich dieses Wort in diesem Zusammenhang missbrauchen darf.

Zum Einstieg eignet sich der Pico de Osorio mit 967 Metern Höhe ideal. Dieser vermeintlich kleine Hügel ist von einer der  Wanderrouten ab der Finca de Osorio aus zu erreichen. Diese befindet sich, wie schon mehrfach berichtet, im Landpark Rural de Doramas, der sich über die Gemeinden Teror, Valleseco und Firgas verteilt. Das Gut umfasst eine Fläche von 204 Hektar und hat eine lange Geschichte …

Ein Blick zurück …

Im Jahr 1549 waren erstmals zwei Eigentümer im Register des Landeskreises Teror eingetragen: García de Osorio und García de Vergara. Letzterer erwarb 1551 auch die andere Hälfte des Anwesens. Im Jahr 1986 erwarb die Inselregierung die Finca de Osorio, deren Kolonialstil einen ungewöhnlichen Kontrast in dieser ruralen Landschaft bietet. Der dort befindliche Picknickplatz ist für Erholungsuchende ein beliebter Spot.

Zwar wird dort noch in kleinem Rahmen die Land- und Viehwirtschaft betrieben (Schafe, Kühe, Hühner), doch das eigentliche Juwel ist die Natur, die Vielfalt der Wälder, wie beispielsweise des Lorberwaldes (Bosque de Dramas) in nördlicher Richtung. Kastanienbäume wurden im 19. Jhdt. gepflanzt, die sich heute zu einer stattlichen schattenspen- denden Allee gemausert haben und wo die Natur für die Verteilung einzelner Bäume in der Umgebung gesorgt hat. Sie werden auf der Tour auch Ulmen, Eichen und exotische Bäume, wie z. B. den Ombubaum oder die Araucaria (ein Nadelgehölz) sehen, ein wahrhaftes Vergnügen.

Die glorreichen Sieben auf Tour

Wandern ist eine gemütliche Gelegenheit zum Plaudern und die frische Luft scheint unsere Gedanken zu beflügeln  und führt zu wertvollen Gespräche mit seinen Wanderkolleginnen und -kollegen. Mit etwas Glück wird man von keinem lästigen Handyklingeln unterbrochen und das stete Starren auf das Display ist beim Gehen auch nicht wirklich möglich, schon gar nicht empfehlenswert.

Bei dieser Tour kam eine bunte Truppe zusammen: Die ‚glorreichen . Und gleich unser erster Tipp: Machen Sie es anders als wir! Die Gruppe hätte unterschiedlicher nicht sein können: Geschlecht, Alter, Nationalität und Fitnessniveau. Vom ambitionierten Hobbysportler, leidenschaftlichen Wanderer, Fitnessfreak, Psychiater, Teenager, Forscher und Entdecker bis hin zum Rentner. Jeder Typus war vertreten. Und natürlich waren unsere geliebten Vierbeiner auch dabei: Juan und Nico.

Es geht los, oder doch nicht?

Vereinbaren Sie einen Treffpunkt, aber machen sie klar, was das bedeutet. Einige der Teilnehmer kamen abmarschbereit, anderer interpretierten die Uhrzeit als lose Empfehlung und benötigten überhaupt erst dringend ein Frühstück samt Kaffee. Dieser Umstand ist ähnlich einem Verkehrsstau und potenziert die folgenden Verzögerungen.

Statt um 9.00 Uhr fuhren wir erst um 10.00 Uhr los und trafen, nach zugegebenermaßen ungeplanten Wegabweichungen und Zwischenpausen,  erst um 11.45 Uhr am Startpunkt ein. Es wäre zu schade gewesen, die schönen Ausblicke nicht zu genießen. Das wird sich rächen, denn nun werden wir in der Mittagshitze wandern müssen und wie herausfordernd das sein wird, erfahren Sie gleich.

Das Haupthaus im Kolonialstil (Foto 01) ist der Ausgangspunkt dieser Route mit der Kennzeichnung R1, das auf einem dezenten Holzschild, fast übersehbar, angebracht ist. Die Sonne lächelt uns am Zenit entgegen und wir genießen das erste Teilstück auf bequemen Trampelpfaden unter schattenspendenden Baumkronen. Die dicken Laubschichten federn unsere Schritte herrlich ab, nur die sporadischen Baumwurzeln stellen gefährliche Fallen dar. Also kein Weg für ‚Hans guck in die Luft‘.

Abstecher zur ´Hexe´im Stilvester

Schon nach einem kurzen Stück sticht uns ein weiteres Holzschild mit der Aufschrift Silvestre ins Auge. Wäre Daniela nicht derart beharrlich gewesen, hätte wir - im Nachhinein betrachtet - ein wirkliches Highlight übersehen und wären nicht in diese kleine Schlucht gegangen. Viele Mythen ranken sich um diesen „Märchenwald“, wo der Legende nach eine Hexe gehaust haben soll. Die fast senkrechten Felswände zu beiden Seiten ziehen sich mit jedem Schritt, mit dem wir in diesen Barranco vordringen, immer enger zusammen, während sie gleichzeitig an Höhe gewinnen. Die dichten Baumkronen beschützen uns vor den gleißenden Sonnenstrahlen und sorgen für eine höchst angenehme Temperatur.

Einige Bäume sind in die Jahre gekommen und geben sich ihrer Bestimmung hin. Bizarr geformte Baumstämme, zum Teil mit Moos überzogen (Foto 02) und bizarre Felsformationen zaubern eine wirklich märchenhafte unberührte Naturkulisse, die sich für eine Harry Potter Filmszene durchaus eigenen könnte. Wir entdecken sogar Champignons, die sich in dieser geschützten Ecke sichtlich wohl fühlen (Foto 03). Musikalisch untermalt wird diese Naturoase noch durch das sanfte Säuseln der Blätter durch die leichte Brise sowie durch das wunderbar melodische Vogelgezwitscher.

Nach knapp zehn Minuten waren wir am Ende, eine Sackgasse dieses Taleinschnitts. Hier soll in regenreichen Monaten ein Wasserfall fließen, ein perfektes Fotomotiv in diesem Wald „Bosque de Silvestre“ (Foto 04).

Es geht bergauf, es  geht bergab und wieder...

Nach diesem herrlichen Abstecher setzten unsere eigentliche Tour fort. Die konsequente Steigung in Kombination mit der Hitze war eine ungünstige Konstellation zum Wandern, insbesondere für unsportliche Menschen wie mich. Die Sonne zeigte sich unbarmherzig, besonders in den Lichtungen. Eine Sonnencreme mit hohem Schutzfaktor ist in diesen Situationen essenziell, will man sich nicht Nase, Gesicht oder Nacken verbrennen. Während die männlichen Teammitglieder längst außer Blickweite waren, bildeten Daniela und ich das leidende Schlusslicht. Nur Erika war tapfer und bildete sozusagen das Verbindungsglied zwischen den Fronten bzw., unsere Orientierungshilfe. Keuchend und zugegebenermaßen auch jammernd hatten wir zwar längst aufgegeben Schritt zu halten, genossen aber die sich bietenden Ausblicke umso mehr. Aus meinen Erfahrungen voriger Wanderungen war ich mit mit einem Walkie Talkie gerüstet und gab zwischendurch ein Lebenszeichen.

Der Weg war geprägt von Licht und Schatten und von wunderschönen Ausblicken, die mit zunehmender Höhe auch immer prachtvoller wurden. Wild wachsende Brombeerstauden trugen reife Früchte und boten abermals einen willkommenen Grund zum Rasten.

Als Schlusslicht versuchte ich das Ziehen in meinen Muskeln auszublenden, auf das Atmen nicht zu vergessen, das Stechen in der Lunge zu ignoriern, die Hitze der Sonne nicht zu verfluchen und tapfer Schritt um Schritt das restliche Stück zum Gipfel zu meistern. Ich wollte nicht jammern, tat es aber doch und dankenswerter Weise hatte ich eine Leidensgenossen, die mir bereitwillig Ihr Gehör schenkte und in den Reigen des Selbstmitleids einstimmte. Irgendwie haben wir es doch noch geschafft und sind am Gipfelkreuz angelangt, wo der Rest der Gruppe auf uns wartete (Foto 06). Der herrliche Ausblick auf die Gegend (Foto 07) belohnte uns für die Anstrenungen, die mir schlimm vorkamen aber den anderen Teilnehmern offenbar nicht einmal ein Wimpernzucken kosteten.

Rast ´deluxe´

Am Gipfel des Glücks legten wir eine wohlverdiente Rast ‚Deluxe‘ ein. Wenn sich Österreicher, Schweizer, Holländer und Deutsche auf den Weg machen und jeder mit seinen nationalen kulinarischen Highlights aufwartet, dann kann es nur ein königliches Picknick werden. Das war es auch. Wir saßen müde, aber glückselig, auf der Erde und genossen das formidable Essen. Dekadente Köstlichkeiten „multikulti“, also belegte Brötchen mit allen erdenklichen Wurstspezialitäten, Käsevariationen, verführerischer Schokolade, auf den Punkt gekochte 5-Minuten Eier etc. und - Champagner. Wohlwahr, eine Teilnehmerin hatte es sich nicht nehmen lassen und es für Wert befunden, dieses feine Getränk mitzunehmen. Welch freudige Überraschung. Daher wunderte es mich auch gar nicht, dass sie sogar an ausziehbare Plastikflöten gedacht hat. Das sind diese Momente im Leben, die keiner Konversation bedürfen und man in einer Glückseligkeit schwelgend sich einfach des Leben erfreut und die Energie der Natur intensiv in sich aufnimmt.

Irgendwann müssen wir (leider) unseren Weg wieder fortsetzen. Der Vorteil einer Rundwanderung, die mit einer Steigung beginnt ist, dass der Rückweg beflügelt vom Gefälle mühelos zu meistern ist. Gestärkt und glücklich schlendern wir die Trampelpfade bergab, über Stock und Stein, durch Wälder und Wiesen bis zum Ausgangspunkt. Diese Route ist das ganze Jahr über ein Vergnügen, sofern man nicht in den Mittagsstunden wandert …

Sie können unsere Tour R1 als Orientierungshilfe mittels QR Code als Wikiloc auf ihr Mobiltelefon laden.

Viel Spaß bei Ihrer Entdeckungstour. Ihre

Julija Major

Steckbrief „Tour Pico de Osorio“

Ausgangspunkt: Finca de Osorio, c/La Finca s/n, El Rincón (ca. 1,5 km von Teror), Gran Canaria

Ausgeschilderte Wanderwege:
R1: Pico de Osorio, Laguna de Valleseco
R2: Circuito Bosque de Castanno
R3: Circuito Agrícola Forestral
R5: Haupthaus, Degollada de Rayo
R6: Haupthaus, Altstadt Teror

Siehe auch LIFE + Rabiche: (fast) verlorene Wälder

Fotos:

02 und 03: Moss und Pilze im Barranco de Silvestre
04: Barranco de Silvestre „Märchenwald“
05: Kuriose Naturerscheinungen, wie künstlerische Skulpturen
06: Wandergruppe am Pico de Osorio (ohne Fotograf Eric Jan de Ruiter)
07: Ausblick auf Las Palmas de Gran Canaria vom Pico de Osorio aus