Ausgabe Nr.
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J M upload 02.02.2019, Viva Edition 116 | Print article

El Hierro 'am Ende der Welt'

Geheimnisvolle Insel und wilde Faszination auf El Hierro: Aus den Tiefen des Atlantiks erhebt sich magisch El Hierro, entstanden von Vulkanen. Die kleinste Insel des kanarischen Archipels ist nur einen Katzensprung von Teneriffa entfernt und schlummert unberührt vom Massentourismus ihren Dornröschenschlaf. Sie denken Einsamkeit? Ja, richtig, und dazu friedvolle Stille. Aber Langeweile, nein! Weit gefehlt! Naturfreaks, Taucher und Individualisten wissen die Vorzüge der Vulkaninsel schon lange zu schätzen. Begleiten Sie uns auf der Reise durch eine bombastische Naturlandschaft mit all ihren Mysterien.

Das Ende der Welt

Es gibt kaum mehr Plätze auf dem Archipel, an denen man die Kraft der Natur derart spürt und zugleich der Hektik unserer dicht besiedelten Ballungszentren derart entrücken kann, wie auf El Hierro. Dünn besiedelt, fast menschenleer, dichte Wälder, kuriose an Kunst anmutende Felsformationen, steile Küsten und brachial brechende Wellen. Doch fangen wir einfach bei Null an,  im wahrsten Sinne des Wortes.

El Hierro - das Ende der Welt? Sie schmunzeln, aber das glaubten die Menschen zumindest 150 n. Chr. Claudius Ptolemäus packte kurzerhand den westlichsten bekannten Landpunkt, die „Isla del Meridiano“, auf den Nullpunkt. Die Seefahrer fielen zwar nicht herunter vom Erdscheibenrand, dennoch markierte El Hierro mit ihrem Westzipfel „Punta de Orchilla“ bis 1885 den Nullmeridian. Das brachte ihr den Beinamen Meridianinsel ein. Heute thront auf den Klippen dieser Westküste der Leuchtturm „Faro de Orchilla“ (siehe Foto). Mit Greenwich wurde das heute bekannte Koordinatensystem eingeführt.

VIVA TIPP: Ein originelles Mitbringsel: im Tourismusbüro von Valverde in der c/Dr. Quintero 4, kann man ein individualisiertes Zertifikat erstehen (siehe Foto 03). Es bescheinigt, dass man am ‚Ende der Welt‘ war.

Der heilige Baum ...

Der heilige Baum der Urbevölkerung von El Hierro (sog. Bimbaches) war der „Garoé“, der auch im Inselwappen verankert ist. Dabei handelt es sich um ein verblüffendes Phänomen in den Wäldern El Hierros: durch hohe Berglagen und den Nordost-Passat kondensiert das Wasser aus den tief hängenden Wolken (‚Es regnet sozusagen‘) und an seiner Rinde wuchsen Pflanzen und das Wasser fing sich in den Blättern.

Die Bimbaches verehrten den Baum als Urquelle, der mit seiner imposanten Krone den Menschen das überlebenswichtige Nass spendete, welches in einem Becken aufgefangen wurde. Zahlreiche Sagen und Legenden ranken sich um den Urbaum, den 1610 ein Sturm zunichte machte - heute steht dort in einer Felsnische symbolisch ein Lorbeerbaum (siehe Foto 02).

Zauberhaft im Märchenwald

Wie einem Märchen entsprungen sind die bizarren Wälder von La Frontera. Man fühlt sich in Phantasiewelten ganz nach J.R.R. Tolkien versetzt. Nebelumwaberte Holzgewächse, bis zu acht Meter hoch mit bizarren Formen, so muss ein verzauberter Märchenwald aussehen. Das Geheimnis: mildes Klima und der feuchte Nebel der Passatwolken - das Lebenselixier für garantiertes Wachstum.

„El Sabinar“: Charakteristisch für den Westen El Hierros sind die gespenstisch anmutenden Wacholderbäume von „El Sabinar“ in La Dehesa. Wirr geformte Äste, die verzweifelt, wie Arme aus den Bäumen ragen und sich ineinander verknoten. Knorrig, verwachsen und die Baumkrone fast auf den Boden gedrückt, als ob sie die Geheimnisse der Vergangenheit als Last auf ihren morbiden Schultern trügen. Der Fallwind macht´s möglich. Er sorgte dafür, dass die „Sabinales Milenarios“ mehr breit als hoch sind. In Richtung „Mirador de Bascos“ passiert man das imposante Waldgebiet.

„Laurisilva“: Im Inselnorden wird es grün, dort sind die Lorbeerwälder auf Höhen von 500 - 1500 Meter heimisch. Die Bäume erreichen eine stattliche Höhe und sind eingebettet in einer grünen Pracht an Moos, Farn und Klettergewächsen. Diese Wälder leiden niemals Durst, denn an den Baumblättern kondensiert sich das Wasser der Wolken. Ein Exempel für das perfekte Zusammenspiel von Klima und Natur.

Kurios: urzeitliche Rieseneidechsen

Irgendwie unheimlich und doch faszinierend sind die Rieseneidechsen (Lagarto Gigante) - wie aus Urzeiten. Vielleicht haben Sie sogar schon - kleinere Exemplare dieser Reptilien - friedvoll beim Sonnenbad live in Freiheit erleben dürfen? Prachtexemplare der Riesenechsen bringen es auf 75 cm Länge. Der Legende nach wird den Kaplänen des Eroberers Bethencourt Anfang des 15. Jahrhunderts die Aussage „Eidechsen, so gross wie Katzen, aber harmlos“ zugeschrieben.

Seit 1930 galten die Reptilien als ausgestorben und fristeten ein ungestörtes Dasein, die Besiedelung soll der Harmonie ein Ende bereitet haben. Plötzlich, Anfang der 1970-er Jahre, waren sie wieder da! Es versteht sich von selbst, dass diese Urzeit-Riesen („Gallotia Simonyi“) nun unter Naturschutz stehen. Wer sich den „Lagarto Gigante“ ansehen möchte, dem sei ein Besuch des „Lagartarios“ ans Herz gelegt. Die Zuchtanlage ist dem „Ecomuseo Guinea“ angeschlossen. FREILUFTMUSEUM GUINEA

Wer eine Reise in die Vergangenheit zur Zeit der Urbevölkerung machen möchte, sollte das Dorf Guinea  im Valle de Golfo besuchen. Die Bimbaches sollen schon vor der spanischen Eroberung hier gelebt haben. seit 1950 ist es unbewohnt. An deren Herkunft scheiden sich die Geister. Man vermutet, dass es sich um Siedler nordwestafrikanischer Berberstämme handelte. In diesem Dorf wird demonstriert, wie die Menschen einst den Alltag bewältigt haben. Bei den Führungen ist eine Vulkanhöhle das Sahnehäubchen.

Viva Tipp: „Lagartario“ und „Ecomuseo Guinea“, Carretera General Las Puntas, La Frontera. Führungen: Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Geheimnisvolle Felssymbole

Es ist der Neugierde einiger Menschen zu verdanken, dass Unglaubliches zutage kam. Zu jenen gehörte der Geistliche und Hobbyarchäologe Aquilino Padrón, ein Herreño. Er stieß 1873 auf die archäologische Fundstätte im Gebiet El Julán - unbewohnt und verlassen im Südwesten der Insel. Lange waren die abstrusen Felszeichen schon da, aber aus unerfindlichen Gründen kümmerte sich niemand darum: Piktogramme, in lange felsige Lavaflüsse in Hanglage geritzt, hunderte von abstrakten Darstellungen von Mensch und Tier sowie geometrische Symbole. Diese Petroglyphen nannten die Einheimischen „Los Letreros“ (dt. Die Schilder) und „Los Números“ (dt. Die Nummern).

Für Archäologiefans

Zeitbestimmung: um 200 v. Chr.: Die Fundstätten von El Julán bleiben ein Rätsel. Etliche Wissenschaftler haben sich an der Entschlüsselung der Symbole die Zähne ausgebissen. Man ist sich nicht im Klaren, ob es sich um Buchstaben oder Zahlen handelt. Die Felsgravuren haben durch Umwelteinflüsse und Plünderungen schwer gelitten, was deren Interpretation nicht erleichtert. Der Tenor der Wissenschaftler: es soll sich um eine Schrift handeln, die in Nordafrika in prähistorischer Zeit verbreitet war. Ob´s stimmt? Man darf gespannt sein, ob dieses Rätsel jemals entschlüsselt wird.

Einen Steinwurf von diesem Komplex entfernt befinden sich die Überreste eines ehemaligen Versammlungsplatzes („Tagoror“) der Altkanarier. Entdeckt wurden über 20 Fundstellen mit Opferplätzen sowie Wohn- und Grabhöhlen. Auch diese konnten bisher nicht interpretiert werden. Wer dieses archäologische Gelände mit eigenen Augen sehen möchte, kommt um eine Führung nicht herum. Es wird eine geführte Wanderroute über 11 km angeboten, sie dauert rund 4 Stunden.

Viva Tipp: „Parque Cultural El Julán“, Carretera General de El Julán, El Pinar. Informationszentrum geöffnet Dienstag bis Samstag von 10.00 bis 18.00 Uhr; Führungen müssen angemeldet werden (lassen Sie sich von der Reiseleitung oder ihrem Hotel helfen).

Unterwasservulkan: Ausbruch und Status Quo

Nun wollen wir Sie vorsichtig zurück in die Gegenwart holen. Man muss sich im Klaren sein, dass El Hierro sozusagen die Spitze eines Vulkansystems ist, das in der Tiefe des Ozeans schlummert. Der Unterwasservulkanausbruch im Oktober 2011 in ca. 400 Metern Tiefe und etwa 2,5 Kilometer vor der Südküste von La Restinga (siehe Foto 06) ließ das kleine Eiland in den Fokus der internationalen Wissenschaftler rücken. Der Gipfel dieses vom Ozeanografischen Institut (IHM) auf den Namen Tagoro getauften Vulkans liegt auf ca. 88 Meter unter der Wasseroberfläche. Die Insel wurde um ca. 27 Zentimeter angehoben. Die Eruptionen sorgten für ein sichtbares (auch angsteinflößendes) Phänomen. Das Meer vor La Restinga verfärbte sich das durch austretende Schwefelgas gelb-grün. Unzählige Fische trieben damals tot auf dem Meer.

Das Informationszentrum: Das höchst interessante „Centro Vulcanológico“ öffnete erst vor einem Jahr seine Pforten. Neben dem Vulkanismus der Kanarischen Inseln liegt der Fokus auf den Eruptionen von La Restinga und ist unbedingt einen Besuch wert. Adresse: Centro Vulcanológico, Carretera HI-4 Nr. 8, El Pinar - La Restinga. Geöffnet täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Wer A sagt, muss auch B sagen: Das Geologie-Zentrum ist einen Besuch wert und widmet sich neben der Geologie, der Völkerkunde sowie der Kultur der Herreños. UNESCO-Prädikat „Geopark“. Adresse: Centro de Interpretación Geológica, c/Travesía del Pino 50, El Pinar. Geöffnet täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Vorbildlich - erneuerbare Energien

Mit der Einweihung des Wasserkraftwerks Gorona del Viento (dem einzigen dieser Art) wurde El Hierro zur ersten Insel, die sich vollständig mit erneuerbaren Energien selbst versorgt.Mit überschüssiger Windenergie wird Meerwasser einen Berg hinaufgepumpt und in einem erloschenen Vulkankrater gespeichert. Bei Flaute läuft das Wasser wieder hinunter und treibt Turbinen zur Stromerzeugung an.

Herrliches Aussichten

Naturliebhaber kommen mit dem Wanderwegnetz voll auf ihre Kosten. Bei den Aussichtsplattformen wird man zusätzlich mit herrlichen Aussichten belohnt. Die schönsten Miradores sind u. a.: Mirador de Isora, Las Playas, Jinama, Bascos, Malpaso, de la Peña, Tanajara und El Julán. ANREISE: Per Fähre oder Flugzeug. Nur erreichbar per Inselhüpfer (www.bintercanarias.com), es gibt keine Direktflüge zum kleinen Flughafen Valverde (VDE). Alternative: per Fähre ab/über den Hafen Los Cristianos im Süden Teneriffas (www.navieraarmas.com) zum Hafen La Estaca. Ideal ist es mit der Schnellfähre, das dauert etwas mehr als zwei Stunden. Ziel erreicht. El Hierro entpuppt sich als ‚Fass ohne Boden‘. Wir wollten Ihnen als Kanarenfan Appetit auf dieses unterschätzte Inselchen machen - ein sehenswerter Geheimtipp. Der Rest liegt nun an Ihnen. Viel Spaß auf Ihrer Entdeckungsreise!

Eva Dienesen

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Steckbrief: Größe: 280 km2. Einwohnerzahl: ca. 10.600 (wobei nur knapp mehr als die Hälfte das ganze Jahr über dort leben). El Hierro ist die kleinste und mit 1,12 Mio. Jahren die jüngste Insel der Kanaren (Vergleich Fuerteventura: 20,5 Mio. Jahre). Sie wurde im Jahr 2000 als dritte Insel des Archipels von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt und 2014 zum Geopark. Die Vulkaninsel ist Pionier hinsichtlich Umweltschutz auf dem Archipel. Die Vision: Den eigenen Strombedarf der Insel zu hundert Prozent durch erneuerbare „saubere“ Energien zu gewinnen (siehe Ausgabe Nr. 12 vom 22. Juni 2012).